Zürich – ein Sprudelbad ohne Sprudel

Interview mit Dominic Huber

Von Alexandra Kedves

17.06.2014 / Zürcher Tagesanzeiger

Interview: Dominic Huber hat für die Gruppe Rimini Protokoll das Bühnenbild des Stücks «Situation Rooms» gebaut. Ab Donnerstag wird es im Rahmen der Zürcher Festspiele aufgeführt.
Mit Dominic Huber sprach Alexandra Kedves 17.06.2014

 

20 iPads und zwei riesige ­Schiffscontainer mit Material brauchen Sie für das Bühnenbild von «Situation Rooms» . . .


. . . und vier volle Tage Aufbauzeit! «Situation Rooms» ist in der Tat ein Klopper. Am Schluss haben wir über Rimini Protokoll in Berlin rund 45 Leute allein fürs Technische angestellt – deutsche Honorare sind niedriger –, haben den Kulissenbau extern vergeben und dreieinhalb Monate extrem dicht gearbeitet. Das ­waren paradiesische Zustände, ein Fest für die Kreativität, trotz der Mühsal mit der deutschen Bürokratie – das Schweizer System, das ich für meine Zürcher GmbH Blendwerk nutze, ist viel einfacher. So hochkonzentriert und spontan jedoch wie damals in Berlin gehts selten zu – und am Stadttheater schon gar nicht.


Warum nicht?


Prinzipiell hat dieses ein grosses Bedürfnis nach Planungssicherheit. Man muss regelmässig einen Spielplan präsentieren, hat eine Bringschuld gegenüber den Kommunen, die sie grossteils finanzieren. Und aufgrund der festen Spielplanpositionen ist auch die Werkstättennutzung eng getaktet und genau festgelegt.


Stadttheater und freie Theater können zusammen nicht kommen?


Das müsste gar nicht so sein! Es gibt Versuche, das aufzuweichen, wie das Residence-Projekt mit der Gruppe Far a Day Cage am Theater Basel. Und das Schauspielhaus Zürich ist sehr froh darüber, dass wir unsere eigenen Leute für Entwicklung und Bau von «Rooms» haben und es das Risiko delegieren kann. Das System, das wir aus der deutschsprachigen Schweiz und aus Deutschland kennen, ist einfach weniger austauschfähig als das französische. Am Théâtre Vidy-Lausanne, wo wir 2008 «Airport Kids» gemacht haben, werden Werkstätten outgesourct und produktionsweise angemietet.


Als Ausstattungschef werden Sie oft zum Verbindungsmann zwischen Stadttheater und Freien.


Und das ist gar nicht so einfach. An einem neuen Ort habe ich häufig auf einen Schlag mit 50 bis 60 neuen Leuten zu tun und muss zwischen den unterschiedlichen Arbeitsmodi lavieren. Das geht mir zunehmend an die Nieren. Ich will je länger, je weniger in ständig neue personelle Zusammenhänge geworfen werden. Das hat auch mit dem Älterwerden zu tun und dem Hin und Her zwischen Familie und Arbeitswelt. Tatsächlich kann man eine ähnliche Müdigkeit auch bei den älteren Zuschauern im ­Theater sehen.


Die Zuschauer haben Mühe?


In «Rooms» erleben 20 Zuschauer 10 Perspektiven, tauchen jeweils für 7 Minuten in eine Welt ein. Und während sie selber «konsumieren», sind sie zugleich eine Figur in der Perspektive eines anderen Zuschauers. Jugendlichen fällt dieses Mitspielen leicht. Erwachsene dagegen wollen sich eher erholen, quasi auf dem Sofa sitzen und nicht auch noch Verantwortung in einem Spielsystem übernehmen. Wenn man eh permanent gefordert und zugeballert wird, stellt so eine Performance grosse Ansprüche.


Warum muss ein Theaterbesuch Arbeit sein?


In «Rooms» wollten wir den labyrinthischen Aspekt des Themas, auch die Des­orientierung der einzelnen Akteure des Waffengeschäfts, im Modell nachvollziehbar machen. Waffenökonomie, Gewaltspiralen: Als Westeuropäer schaut man das sonst von aussen und oben an. In unserer begehbaren Dokufiction aber geraten die Zuschauer in die Innenperspektiven der Akteure. Man wird überflutet, die Distanz säuft ab. Plötzlich ist man etwa in der Egoshooter-Perspektive eines Polizeischützen und zieht tausendmal den Abzug. Diese Erfahrung löst im Nachgang unheimlich viel aus. Während des Stücks allerdings sind die Leute so mit dem Tablet beschäftigt, dass die ­Reflexion darüber verzögert ist.


Legt Theater so Wirklichkeit frei?


«Realität» ist ein Schichtenwerk, Theater spielt damit. Es bildet fürs Publikum einen gemeinsamen Wahrnehmungs- und Handlungsraum; es überformt die Schichten, die «Realität», mit eigener Fiktion. Wir kreieren also eine «Augmented Reality». Erweiterte Realität war Theater schon immer, wenn es gut war. Statt Bildungsbürgerfantasien und illusionistische Abbildungen für den Guckkasten zu basteln, bietet Theater, wie ich es verstehe, Erfahrungsräume.


Da spricht der ETH-Architekt.


Als mir klar wurde, dass mich Bühnenbild und Filmszenografie interessierten, gab es das als Studiengang noch gar nicht. Also studierte ich Architektur, ­begann mit Bühnenbildassistenzen am Theater Neumarkt und machte Aus­stellungsszenografien, etwa an der Expo.02. 2008 traf ich zufällig Stefan Kaegi, Zürich ist klein. Und wir fanden uns.


Ihr Theater ist stets auch Dialog mit dem Raum, etwa mit einer kleinen Wohnung in der Hofwiesenstrasse in «In My Room», die, exakt ­nachgebaut in der Gessnerallee, Kopie und doch keine Kopie war.


Man kann den Zuschauer nur mitnehmen, wenn man nicht einfach umstandslos über die vierte Wand springt. Er darf und soll seine Gegenwart in einem gemachten Umfeld reflektieren. Jüngst am Theater Neumarkt in «Joyland» wurden die Besucher in verschiedene Räume und Situationen geführt – aber sie blieben auch Beobachter. In einer Zeit der Oberflächen gewinnt so eine erweiterte Realität am Theater einen neuen Erlebniswert.


Das Theater als neue Therapie der Gesellschaft – zurück in die 70er? 


Als Lara Körte und ich in New York an «Hotel Savoy» arbeiteten, betrachtete man uns dort als Wiedergeburt von Strömungen wie dem Living Theatre. Mag sein, dass wir auf eine ähnliche Bedürfniskonstellation stossen, wie sie damals vorlag: Die vielen Ausschlussmechanismen, die glatten Oberflächen lösen einen Wunsch nach Eingang und Tiefgang aus. Überall ist heute dieser Sicherheitsgummibelag drauf wie auf den Spielplätzen. Alles prallt ab.


Ist ein System wie «Rooms» nicht auch ein Gang überm Gummiboden?


Theater ist stets ein Modellversuch, nie eine Frage auf Leben und Tod. Es wäre verkehrt, die konkrete Situation des ­Zuschauens zu verleugnen oder den ­Zuschauer zu zwingen, an eine Realität zu glauben, die er gar nicht vor Augen hat. Das ist démodé wie ein altes Guckkastenstück: gerade so, als ob man Zürich nie verliesse.


Ist Zürich verstaubt?


Es ist meine Heimat und ein grossartiges Biotop für Künstler. Und man ist viel schneller wer als in Berlin oder New York. Aber es fehlt das Schwierige, die Realitätshaftung. Das einzige Problem ist die Wohnungssuche. Zürich: Das ist wie ein Sprudelbad ohne Sprudel. Premiere im Schiffbau: 19. Juni.


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