Wenn Zuschauer politische Entscheidungen treffen müssen

"Welt-Klimakonferenz" von Rimini Protokoll im Schauspielhaus

Von Monika Nellissen

24.11.2014 / Hamburger Abendblatt

Hamburg. Mit einer logistischen Meisterleistung hat das Theaterkollektiv Rimini Protokoll am Schauspielhaus eine an sich dröge, wenngleich weltbewegend wichtige Materie sinnlich, leicht fassbar und geradezu unterhaltsam vermittelt. Dem Zuschauer wurde dabei im Kleinen verständlich gemacht, was im Großen auf der im Dezember anstehenden Weltklimakonferenz in Lima passiert. Diese Uraufführung war nicht nur eine organisatorische, sondern auch didaktisch anspruchsvolle "Lernveranstaltung" mit echten, hochkarätigen Wissenschaftlern und falschen Delegierten – dem Publikum –, die im gnadenlosen 20-Minutentakt aktiv politische Entscheidungen von Menschen abverlangte, die es eher gewohnt sind, sich im Theatersessel künstlerisch bedienen zu lassen.
Nicht so bei den Rimini-Protokolleuren Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel, die unter der wissenschaftlichen Leitung des ebenso locker wie klug die Konferenz leitenden Physikers Florian Rauser das Publikum zu Mitakteuren machen. Rund 600 Zuschauer als Delegierte von 196 Staaten werden in Grüppchen auf die Aufgabe eingeschworen, die Haltung ihres Landes, was Klimapolitik, Wirtschaftsrelevanz und Geldgeberlaune betrifft, überzeugend zu vertreten. Strategisches Denken ist verlangt, auf einem Stimmzettel wird am Ende vermerkt, wie viel zu investieren sie bereit sind.
Was in Lima über zwölf Tage verteilt ist, wird bei der "Welt-Klimakonferenz" im Schauspielhaus auf gut drei Stunden komprimiert. Die Besucher, jeder trägt ein Booklet um den Hals mit den Informationen über ein Land, das er vertritt, hastet von A nach B, von der Hinterbühne in den Marmorsaal, vom Rang in den Theaterkeller und wieder zurück ins Parkett, immer auf der Jagd nach Informationen, nach Zahlen und Fakten, die teilweise erschreckend sind. In einem als Eiskammer gestalteten Raum erfahren wir anhand anschaulicher Beispiele, wie verheerend schnell das Gletschereis der Arktis schmilzt durch die Erderwärmung, in einer Performance zum Thema Dürre spüren wir am eigenen Leib mittels einer gigantischen Bühnenscheinwerferinstallation, was es heißt, mit immer größer werdender Hitze konfrontiert zu werden.
Der Klimawandel, so hören wir, werde bisher als Fiktion behandelt und nicht als Realität, obwohl alle wüssten, dass er die größte Bedrohung für unseren Planeten darstelle. Doch wird es in Lima einen einmütigen Beschluss geben, der besagt, dass sich die Erde bis 2020 nicht mehr als zwei Grad erwärmen darf, damit sie nicht Schaden nimmt? "Keiner weiß das genau", ist die ernüchternde Bilanz der Sachverständigen. Denn ein Beschluss heiße noch nicht, dass er auch umgesetzt werde. "Was tun wir, wenn die Konferenz scheitert?", fragt Meteorologe Hartmut Graßl und gibt die Antwort: "Die Welt wird nicht untergehen, aber die Ungleichheit in den Erdteilen wächst, es wird mehr Leid geben."


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