Wenn das Publikum im Lkw durch die Stadt kutschiert wird

Von Nadine Kreuzahler

04.05.2018 / Inforadio Kultur

Raus aus dem Theatersaal und mitten rein ins Leben - dafür ist das Theaterkollektiv Rimini-Protokoll bekannt. In ihrer neuesten Produktion "DO's & DON'Ts" wird das Publikum im Lkw durch Berlin kutschiert. Donnerstag war Premiere und Nadine Kreuzahler ist mitgefahren.

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Früher wurden in dem Truck Schweinehälften transportiert. Jetzt ist der ehemalige Kühltransporter ein rollendes Theater, schon mehrfach in früheren Arbeiten von Rimini Protokoll verwendet, in den "Truck Tracks Ruhr" zum Beispiel. In langen Reihen sitzt das Publikum im Truck seitlich zur Fahrtrichtung.

Nach welchen Regeln wollen wir leben?

Zunächst fühlt sich das an wie im Kino, denn: Es ist dunkel und eng, und der Blick fällt auf Leinwände. Zu sehen ist eine Live-Schaltung in die Fahrerkabine, wo das Mädchen Dido, etwa zehn Jahre alt, neben Rudi sitzt, der das schwerfällige Gefährt steuert.

Nach welchen Regeln funktioniert unser Zusammenleben? Welche brauchen wir, welche nicht? Und: Wie frei sind wir wirklich? Das sind Fragen, die das Kollektiv, diesmal unter der Regie von Helgard Haug und Jörg Karrenbauer, in seinem neuen Stück "DO's & DON'Ts" verhandelt.

Charmant dilettantisch – das ist gewollt

Das Kind findet Regeln, wie zum Beispiel Ampeln, hilfreich. Der Erwachsene nimmt sie gleichgültig hin oder interpretiert sie großzügig. Später kommt noch der Jugendliche ins Spiel, der sich gegen jede Regel trotzig auflehnt und sie grundsätzlich kritisch hinterfragt. Rimini Protokoll arbeitet wie meistens mit Laiendarstellern, die sich selbst spielen. Das hat etwas charmant Dilettantisches, dabei ist es natürlich voll durchinszeniert. Außerdem arbeiten die Regisseure mit Audiocollagen, mit Videos und Chorgesängen, performt vom Chor des Rosa-Luxemburg-Gymnasiums Berlin unter der Leitung von Christoph Rosiny.

Die Stadt als Bühne

Spannend ist das Stück immer dann, wenn die Leinwände im Inneren des Lasters hochgehen und den Blick auf die vorbeiziehende Stadt freigeben. Zum Beispiel auf das bunte Treiben am Hermannplatz oder die vorbeiziehenden Geschäfte in Neukölln. Oder das Amtsgericht, "wo gerade vor allem Mietsachen und Räumungsklagen verhandelt werden", wie das Mädchen kommentiert. Der Bus durchquert außerdem eine Einfamilienhaus-Siedlung und hält auf einer Feuerwehraufstellfläche direkt am Bahnhof Südkreuz, mit direktem Blick auf einen der Bahnsteige. Die Stadt wird zur Bühne.

Der Clou dabei: Wer im Laster sitzt, kann zwar die Menschen draußen beobachten. Aber die Menschen draußen können höchstens sich selbst sehen – denn die Scheiben sind von außen verspiegelt.

Ab wann ist jemand verdächtig?

Am Bahnhof Südkreuz läuft vor den Augen der Zuschauer das übliche Feierabendgewusel ab, während die Audiotonspur eine Collage mit Aussagen von Kindern suggeriert, dass ein verdächtiger Mann am Bahnsteig herumsteht. Dadurch fällt der Blick tatsächlich auf einen  jungen Mann in Schwarz, der regungslos vor sich hin starrend am Gleis steht. Ab wann also erscheint jemand verdächtig?

Kurz darauf wird die Szene aufgelöst. Dido ist aus dem Truck gestiegen, und begrüßt den jungen Mann als ihren Bruder Jasper. Der steigt jetzt ein und referiert über Überwachungstechniken und automatische Gesichtserkennung, die am Bahnhof Südkreuz ausprobiert würde – auf freiwilliger Basis. Erst einmal. Plötzlich wird einem bewusst, dass die Perspektive auf die Leute am Bahnsteig genau die Perspektive einer Überwachungskamera sein könnte.

Ungeplante Action

Es kommt auch zu ungeplanten, zufälligen Interaktionen auf der Straße. Ein unfreiwillig komischer und ungeplanter Actionfilm spielt sich ab, als der Theater-Truck ganz leicht den geparkten Lieferwagen eines bekannten Paketdienstes schrammt und daraufhin die Polizei kommt – und alle plötzlich zu Protagonisten des Theaterspiels werden.

Bewegtes Theater, das bewegt

Die Themen, die die Stadt bewegen, bewegen das Publikum, während es sich durch die Stadt bewegt. Überwachung und Kontrolle, Wohnungsnot, Kriminalität und Ängste, die City der Zukunft mit selbstfahrenden Autos. Rimini-Protokoll hat mit Stadt- und Raumforschern, LKA-Beamten und Richtern gesprochen, mit Überwachungssystem-Experten und Aktivisten.

Aus den Recherchen hat das Kollektiv eine kluge Mehrfachbespiegelung gemacht. "DO's & DON'Ts" findet zwar zu den brennenden Themen, die es anspricht keine neuen Antworten. In den besten Momenten aber ermöglicht es einen überraschenden neuen Blick auf die Stadt, die wir doch so gut zu kennen glauben.

Die Aufführungen von "DO's & DON'Ts" sind alle ausverkauft, es gibt aber eventuell Karten an der Abendkasse.


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