UNTERM STRICH THEATER?

Mit Rimini bei den Daimler-Aktionären

Von Doris Meierhenrich

11.04.2009 / Berliner Zeitung

Achten Sie auf die Videowand!", mahnt der quirlige Herr. Nur während der Rede des großen Vorsitzenden, prophezeit er, werden dort Bilder und Diagramme aufleuchten. Für alle anderen bleibe sie tabu. Auf Platz drei der Rednerliste hat Lars Labryga, Vertreter einer Schutzgemeinschaft für Kleinaktionäre, es geschafft. Was Grund zum Neid wäre für viele andere Sprecher, wie Jürgen Grässlin zum Beispiel von den "kritischen Aktionären". Er wird unterdessen sein T-Shirt mit der Aufschrift "Zetsche ist der größte Waffenhändler in Deutschland" im Foyer spazieren tragen. Doch Grässlin kommt später.

Zwei Tage vor dem Ereignis muss Lars Labryga die Schar der Neuaktionäre und Aktionärsvertreter im Hebbel Theater einstimmen auf das Kommende. Gemeint ist die Hauptversammlung der Daimler AG im ICC, von der man "großes Theater" erwartet. Zuallererst das Regiekollektiv Rimini Protokoll, das den Versammlungstermin kurzerhand auf den Spielplan des HAU setzen ließ und damit den Hauptgriff seiner Theaterarbeit bereits vollbrachte: die Umpolung der Blicke.

Dieses Mal soll ihre Vertauschungsstrategie sogar noch einen Schritt weiter gehen. Es werden nicht nur wie sonst, Laien auf die Theaterbühne geholt, sondern das Theaterpublikum selbst aufs Parkett des Wirtschaftslebens geschleust. Dafür musste jeder Zuschauer eine Daimler-Aktie erstehen oder die Vertretung eines Aktionärs übernehmen. Beides ließ sich über die Vermittlung von Rimini Protokoll regeln.

Dem scharfzüngigen Herrn Labryga gefällt die Einwanderung der Theateraktionäre in die Aktionärsgemeinde sichtlich. Er wirkt selbst als Hobbyschauspieler, weshalb er beim Vorbereitungsabend im HAU das Daimler-Schauspiel mit dramaturgischen Begriffen erklärt. Von "Akten" ist die Rede und von der "Spannungskurve", die mit dem Durchschreiten der Metalldetektoren um 8.30 Uhr beginnt und mit dem hitzigen Verfahrensstreit zwischen Versammlungsleiter Bischoff und kritischen Kleinstaktionären um 23.59 Uhr endet.

Dann ist es endlich Mittwochmittag und der Aktionärsvertreter sieht am Rednerpult vor versammeltem Daimler-Vorstand plötzlich ungeheuer klein aus. Die holprige Krisenrede des Vorsitzenden ist soeben zu Ende und Labryga setzt einen kessen Ton auf. Dass gerade von "Einbruch" und "Entlassungen" die Rede war, scheint ihm entgangen zu sein, irritiert hat ihn vor allem die ungenutzte Videowand hinter Zetsche, weshalb er nun zur Stilkritik anhebt. Es ist 12 Uhr und die Halle ist noch brechend voll. Das Rentnerehepaar vor mir grübelt an einem Sudoku und das Rentnerehepaar neben mir streckt die Hälse, um den Zwischenrufer ("ungezogen") in der linken Saalhälfte zu erspähen. Sie alle sind ehemalige Werksmitarbeiter, die ihr kleines Aktienpaket pflegen, wie eine letzte Bindung an die aktive Welt. Und an irgendeine Mitbestimmung, auch wenn die höchst illusionär ist. Wie illusionär, das steht auf Seite 34 des Buches "Hauptversammlung", das Rimini Protokoll seiner Gemeinde als Wegweiser mit auf die Theatersuche gegeben hat: Die eine Aktie, die du vertrittst, heißt es da, verhält sich zu der Gesamtheit der Daimler-Aktien, wie der Wassergehalt zweier Fußbäder zum Wasserstand des Großen Müggelsees. Oder: wie ein Meter zur Strecke von der Erde zum Mond und wieder zurück. Und plötzlich verstehe ich Herrn W. aus Greifswald, dessen eine Aktie ich vertrete, und dem der Weg von der Ostsee an die Spree zu weit war.

Um 16 Uhr ist das Plenum lichter, dafür das Foyer überfüllt, wo klebriges Plundergebäck ausliegt. Der Zwischenrufer mit der blauen Schirmmütze klebt unbeirrt auf seinem Sitz und klatscht und schreit. Als er endlich selbst ans Pult darf, stellt er sich als "Kantianer" vor und entrollt ein Äffchen-Plakat.

Die Hauptversammlung ist ein Ort für Platzhirsche und Auffälligkeitsfanatiker. Da kommt ein "Theater-Projekt", das selbst nichts aufführt, von dem aber jeder bald weiß, gerade recht. Als Jürgen Grässlin endlich ans Mikrofon gelassen wird und seine Anklage gegen die Verstrickung Daimlers in die Rüstungsindustrie verkündet, nutzt er die Gunst der Stunde und bezeichnet sich auch als Sprecher des "Rimini Theaters". Man solle sich politischer Agitation enthalten, dröhnt es vom Podium, doch wird sich der kritische Aktionär noch mehrfach melden. Stundenlang geht das so weiter, egal, ob das nun jemand Theater nennt oder nicht.


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