Unter uns

Mnemopark beim 6. Festival "Politik im freien Theater" in Berlin

Von Doris Meierhenrich

18.11.2005 / Berliner Zeitung

Das Lagerfeuer knistert im Hof der alten Bötzow-Brauerei. Die Füße der Umsitzenden sind eiskalt, die Gesichter heiß. Es herrscht Schweigen. Die Performer von She She Pop haben die Anwesenden nach Utopie-Vorstellungen gefragt, doch dabei nicht bedacht: ins Feuer zu starren macht unglaublich träge. Wie politisch kann Theater sein in einer politikmüden Gesellschaft?

Die ersten Tage des Festivals "Politik im freien Theater", das die Bundesanstalt für Politische Bildung zum ersten Mal in Berlin veranstaltet, haben eines deutlich werden lassen: Freies Theater, sofern es sich selbst nicht nur als Unterhaltung begreift, ist immer politisch. Die pädagogische Verordnung aber, politisch zu sein, macht eher ratlos. Nirgendwo besser als in Berlin, wo durch die Kraftzentren HAU und Sophiensæle das ganze Jahr hindurch freies, selbstkritisches Theater von meist solidem Niveau und (das gehört zum Selbstverständnis) politischer Implikation wirbelt, ist besser zu sehen, dass ein Festival mit dieser plakativen Thematik etwas sehr Fragwürdiges ist.

Nun also ein Lagerfeuer in der Brauerei und noch einmal Rimini Protokoll im HAU 2. Vor drei Wochen lief dort ihr "Wallenstein", jetzt "Mnemopark" von Stefan Kaegi. Es ist ja auch immer wieder nett, wie die Laiendarsteller unbeholfen, aber beherzt auf der Spielfläche stehen und geduldig ihr Handwerk oder sonstige Erfahrungen erklären und nebenbei die Physionomie einer ganzen Gesellschaft ausbreiten. Fein säuberlich liefern sie in "Mnemopark" Geschichten, Zahlen und Fakten über die Modellwelt Schweiz. Im Miniformat steht sie höchstselbst aufgebaut da und wird mit einer kamerabestückten Eisenbahn vom Bauernhof vorbei am Milchsee durch den großen Fleischberg zur Chemiefabrik abgefahren.

Dass "Mnemopark" Teil des Festivals "Politik im freien Theater" ist, macht dieses Eisenbahnvergnügen nicht politischer als andere Produktionen aus dem aufklärerischen Zwischenreich von Rimini-Protokoll. Ähnliches, wenn auch mit anderer Gewichtung, gilt für She She Pop, Schauplatz International, Theaterhaus Weimar, Jochen Roller, 400asa, David Weber-Krebs, die alle regelmäßig in Berlin gastieren.

Offensichtlich haben es den beiden Kuratorinnen des Festivals, Sabrina Zwach und Odette Enayati, die Recherche-Stücke angetan. Als besonders politisch scheinen ihnen Arbeiten zu gelten, die auf "Interventionen" außerhalb des Theaters basieren und statt eigener Texte bevorzugt Original-Töne wiedergeben: von besagten Hobbyeisenbahnern in "Mnemopark", diversen Migranten in "Grenzgänger" (fringe ensemble) oder Mitarbeitern des schweizerischen Bundesamtes für Asylangelegenheiten in "Chateau Europe" (Schauplatz International). Dieses Alltagswissen wird dann im besten Fall witzig intelligent (Kaegi), im schlechtesten polemisch plump (Schauplatz International) und im mittelmäßigen politisch korrekt (fringe ensemble) zurecht geschnitten. Man kann dann lernen, dass jede Milchkuh in der EU mit 2,50 Dollar am Tag subventioniert wird, während mehr als 3 Milliarden Menschen auf der Welt mit weniger als 2 Dollar auskommen müssen oder dass sich ein Italiener auch nach 30 Jahren in Deutschland noch fremd fühlt.

Nimmt man aber an, dass das Politische auf der Bühne gerade in der Form liegt - in der "Unterbrechung des politisch Kalkulier- und Darstellbaren", wie der Theatertheoretiker Hans-Thies Lehmann einmal formulierte - wäre ein solches Theater höchstens Material für den Sozialunterricht. Mit Ausnahme einzelner Abstürze wie "Chateau Europe". Eine Besserwissershow, in der ein Clown das Asylgenehmigungsverfahren der Schweiz nachspielt, dabei aber weniger das System denunziert, als in jedem Beamten einen Nazis aufspürt.

Das politische Theater der zwei Kuratorinnen ist ein durchwachsener Querschnitt und nicht politischer als freies Theater generell. Vielleicht auch deshalb sieht Sabrina Zwach das Besondere des Festivals vor allem in dem angekündigten Rahmenprogramm. Von vier Aufführungsbesuchen gab es allerdings nur bei einer einzigen ein Publikumsgespräch. Und die politische Kraft des "Cocobello", einer Art Container-Bühne, die sich am Potsdamer Platz in die Konsumwelt einsenkt, gegen die sie eigentlich protestieren soll, wartet auf eine Erklärung. Nähme man die Lectureperformances ernst, die in den Sophiensaelen über die Verödung des öffentlichen Raumes zur Konsum- und Überwachungswüste sinnierten, hätte man diesen "Cocobello" sofort in die Luft sprengen müssen.

Es gab einfach zu wenig Lecture-Begeisterte. Von den anfänglich etwa vierzig Interessenten waren am Ende noch acht übrig. Theaterleute, wie sich herausstellte. Man blieb unter sich.

 

Politik im freien Theater bis 20. 11.

Mehr im Internet unter: http://www.politikimfreientheater.de


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