Und aus der Höhe grüßt Aischylos

Rimini Protokoll übt gemütliche Medienkritik

Von STEFAN KEIM

12.01.2008 / Welt Online

Ein Hochhaus aus Bildschirmen und Schreibtischen. Davor sitzen Menschen, die beruflich mit Nachrichten zu tun haben, Journalisten und Medienkritiker, Aktivisten und Dolmetscher. Nach einer knappen halben Stunde Vorstellungsrunde geht es los, das Tagesschauspiel "Breaking News". Live schneidet der Chef vom Dienst der Nachrichtenagentur AFP zwischen den Nachrichtenbeobachtern hin und her, assistiert von einer Cutterin des ZDF und einem ehemaligen ARD-Afrikakorrespondenten, der die Scheinwerfer bedient. Die Highlights: Angela Merkel gelingt zur Jugendkriminalität die doppelte Worthülse "Wir dürfen das nicht auf die lange Bank schieben, sondern müssen Nägel mit Köpfen machen." Und Russlands Noch-Präsident Putin grinst lässig-männlich beim Skifahren, entblößt aber diesmal nicht den Oberkörper.
Die Nachrichtenlage bleibt ruhig an diesem Premierenabend im Berliner HAU 2. Vor allem aus Russland und Lateinamerika gibt es nichts Aufregendes zu vermelden. "90 Prozent der Aktualität ist sowieso vorher geplant", meldet Medienkritiker Walter van Rossum, bevor er einen Kopfstand macht, um mal die Perspektive zu wechseln. Die Nachrichtenmacher haben einige hübsche Anekdoten zu berichten. Der Afrikakorrespondent erzählt, wie er einmal mit mehreren Kamerateams die US-Armee bei der Landung in Somalia filmte. Und auf verblüffte Soldaten traf, die dachten, ihre Aktion sei streng geheim. Außerdem war er früher mal Theaterkritiker in der Schweizer Provinz, mochte das
Dargebotene nicht, erinnert sich aber an ein interessantes Stück: "Die Perser" von Aischylos. Immer wieder meldet er sich aus der Höhe, über den Bildschirmen thronend, mit Teilen der antiken Tragödie zu Wort. Und manchmal bilden die Kollegen plötzlich einen Chor oder führen einen kleinen Stöckchentanz auf.
Es ist interessant, die vielen unterschiedlichen Temperamente nebeneinander auf der Bühne zu sehen. Den unsicheren, jugendlich wirkenden Isländer, der laut Programmzettel in seiner Heimat als knallharter Enthüllungsjournalist gilt. Den orientalisch-saftigen Kurden, spielerisch und ironisch, aber ganz ernst, wenn es um die Unterdrückung seines Volkes geht. Die damenhafte Dolmetscherin aus Indien, die sich 20 Minuten vor Schluss aus der Aufführung verabschiedet, weil sie immer abends um zehn ins Bett geht. Sie alle in Beziehung zu setzen, den freundschaftlichen Teamgeist zu spüren, der sich bei den Proben entwickelt hat, macht Spaß.
"Breaking News" ist ein unterhaltsamer, sympathischer Abend, aber wirklich aufgebrochen wird hier nichts. Das ist typisch für viele Projekte von Rimini Protokoll, diesem Künstlerkollektiv, das stets mit Laien arbeitet, die es "Experten des Alltags" nennt. Da darf sich jeder präsentieren und wird höchstens Mal kurz zur Ordnung gerufen, wenn er sich zu sehr in den Vordergrund spielt. Konflikte gibt es kaum, Schmerzpunkte gar nicht. Walther van Rossum, der ein spitz analysierendes Buch über die Tagesschau geschrieben hat, darf ein paar Pointen absetzen. Aber die verpuffen in einer versöhnlichen Grundstimmung. Natürlich darf das Theater auch mal eine Utopie von Menschlichkeit und Toleranz herauf beschwören. Doch wenn es deren Gefährdung nicht zeigt, wird es leicht oberflächlich. Zumal eine kritische Analyse der Fernsehnachrichten im
internationalen Vergleich wahrhaftig ein spannendes und wichtiges Thema ist.
Die nächsten Vorstellungen:
12. Januar im HAU 2 Berlin. 18., 19. und 20. Januar im Kleinen Haus des Düsseldorfer Schauspiels sowie am 20. und 21. Februar im Kleinen Haus des Schauspiels Frankfurt.


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