Theaterprojekt Rimini Protokoll: Zeit in Bildern

Hierzulande diskutiert man über Hetze von Boulevardmedien und wer „exklusiv“ schreiben darf. Die Internationale Nachrichtenmaschinerie hat andere Sorgen: das zeigt das neue Stück des Theaterprojekts Rimini Protokoll.

Von Elisabeth Krimbacher

13.06.2008 / Die Presse - Schaufenster

Die alte Röhre hat zumindest auf der Theaterbühne noch lange nicht ausgedient. Dutzende Bildschirme türmen sich in „Breaking News“, und auf dem Dach sorgen Satellitenschüsseln für den Empfang von Al Jazeera, ZeeTV, BBC, ORF oder ARD. Mitten im Geflimmer: Neun Menschen aus verschiedenen Ländern, die alle einen Medienberuf ausüben und ganz locker über ihre Erfahrungen sprechen. Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel arbeiten in unterschiedlichen Konstellationen unter dem Namen „Rimini Protokoll“ und entwickeln seit 2002 diese Art von „Expertentheater“, bei dem statt Schauspielern ganz normale Menschen auf die Bühne geholt werden. Das können alte Damen sein, Teenager, indische Callcentermitarbeiter, arbeitslose Fluglotsen, Lokalpolitiker oder bulgarische Fernfahrer. Theater ist für Rimini Protokoll kein „Ort der Bewunderung“, sondern einer, wo es etwas zu entdecken gibt, wo Experimente oder Veränderung stattfinden können. Helgard Haug im Gespräch über die Intentionen von „Rimini Protokoll“.


Im Pressetext steht: „Echte Menschen stehen im Mittelpunkt der Inszenierung“ – das ist doch ein Widerspruch: Entweder etwas ist echt oder es ist inszeniert.

Ich halte den Begriff „echt“ in diesem Zusammenhang auch nicht wirklich für sinnvoll, denn echte Menschen sind wir ja höchstwahrscheinlich alle, ob nun als Arzt, Zuschauer oder Schauspieler. Bei uns hat man es auf der Bühne mit Menschen zu tun, die, wenn sie „ich“ sagen, eben auch sich selbst meinen und nicht eine andere Person. Die Spannung des Abends liegt eben vielleicht auch darin, diesen Menschen dabei zuzusehen, wie dieses „Ich“ sich ständig neu definiert, sich wandelt, bricht und immer wieder neu erfindet.
Die Bühne erinnert an Nam June Paik und seine Installationen der 60er-Jahre. Ein TV-Bildschirm wirkt heute, in Zeiten des Internets und in Zeiten, in denen die großen Broadcaster zunehmend an Bedeutung verlieren, wie eine „altmodische“ Metapher.
Wir haben die Geräte fast ausnahmslos von Berliner Schrottplätzen geholt, weil wir keine glatte High-Tech-Show auf der Bühne haben wollten, sondern eben dieses „altmodische“ Flackern der Kisten, die, trotz allem Fortschritt, doch noch in jedem Wohnzimmer thronen. Das sollte alles schwer und handlich sein, unterschiedlich verfärbt, anfällig und ungelenk. Drumherum gibt es dann eine sehr aufwendige Technik, die ermöglicht, die Geräte unterschiedlich einzusetzen und zu verschalten.
Ich habe das Gefühl, dass die Medien mittlerweile selbst am meisten Medienkritik üben – es ist ja fast schon inflationär, wenn der Boulevard Geschichten ausschlachtet, aber gleichzeitig ganz erschrocken eine Story darüber bringt, dass die Medien so radikal geworden wären.

Sie sprechen von der Medienkritik in einer Demokratie – schauen Sie sich mal zum Beispiel den syrischen Staatssender an. Medienkritik war aber nicht der Anlass für dieses Stück – Medienkenntnis oder Medienumnutzung würde ich das eher nennen. Erst mal bauen wir einen Rahmen, in dem etwas erfahrbar werden kann, was Sie so normalerweise nicht erleben können, zum Beispiel eben die syrischen Nachrichten parallel zu deutschsprachigen oder russischen wahrnehmen. Es gibt Abende, da sind die Nachrichtensender so sehr nur bis zu ihrem eigenen ‚lokalen‘ Tellerrand beschäftigt, das ist fast rührend zu sehen, an anderen gibt es eine „zentrale“ Nachricht, die durch alle Kanäle läuft und ganz unterschiedlich betrachtet und einsortiert wird.

In Österreich findet aufgrund der medialen Ausschlachtung diverser Kriminalfälle auch die Diskussion statt, auf welche Information der „Zuschauer eigentlich ein Recht“ hätte.
Vielleicht sollte man gegenfragen, welche Nachrichten aus welchen Ländern nicht gesendet wurden, während die Sendezeit für solche „regionale Nachrichten“ verschossen wurde. Dass es ein Bedürfnis nach medialer Aufarbeitung dieser Fälle gibt, ist doch klar und nachvollziehbar, aber dazu kann man ja dann Sondersendung und was auch immer einrichten – wie diese dann gestaltet sein sollten, damit dabei nicht immer neue Opfer gemacht werden, ist eine andere Frage. Schwierig wird es für mich dann, wenn dadurch relevante Nachrichten nicht mehr gesendet werden, weil ein – im Vergleich schon fast marginales – Problem alles andere überschattet.

Das Dilemma der TV-Nachrichten ist wohl, dass jeder, der schon einmal in China, Russland oder im Nahen Osten war, plötzlich einen ganz anderen Eindruck von den vorherrschenden Realitäten bekommt. Allerdings kann man sich nicht laufend „selbst ein Bild machen“ und ist auf ein bestimmtes, durch diverse Interessen und persönliche Zugänge geschliffenes Bild angewiesen. Und wo Menschen sind, ist eben auch Subjektivität.

Das Problem setzt da an, wo Nachrichten so tun, als wäre es anders. Denn natürlich entscheidet auch die Subjektivität der Umstände, wie eine Nachricht transportiert wird und welche Nachricht eben für wen ausgesucht wird. Auf der Bühne gibt es auch einen namhaften Afrikakorrespondenten, der davon erzählt, wie schwierig es für ihn war, an Nachrichten heranzukommen und diese für den „deutschen Markt“ aufzubereiten, und wie entsetzlich auch das Verhältnis zwischen dem ist, was wirklich passiert, und dem, was uns erreicht. Würde die Subjektivität stärker betont, wäre auch das Bild klarer.

TIPP
Breaking News 14.-17.6., Halle G, Museumsquartier Tickets: 01/589 22 11


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