Theater unterm Adler

Das Projekt „Deutschland 2“ spiegelt politisches Tagesgeschehen: Rund 650 Teilnehmer stellen eine Bundestagsdebatte nach.

Von Bettina Köhl

01.06.2002 / Bonner General-Anzeiger

Streng genommen hat das Stück „Deutschland 2“ schon vor vier Monaten begonnen: Als im Festivalbüro von Theater der Welt das Telefon klingelte und sich der erste Teilnehmer für das Bonner Theaterprojekt meldete. Für das Regieteam Rimini Protokoll gehörten die Gespräche mit den Darstellern und die Proben genauso zur Inszenierung wie die eigentliche Aufführung am 27. Juni. Rund 650 Menschen stellen dann eine Bundestagssitzung nach.



Unerwartet betrat während der Vorbereitungen noch ein weiterer Akteur die Bühne: Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Er macht von seinem Recht Gebrauch, bei der Nutzung das Bonner Plenarsaals sein Veto einzulegen. Das Ansehen und die Würde des Deutschen Bundestages seien durch das Theaterprojekt gefährdet, begründete er die ablehung von „Deutschland 2“. Damit hatten die Regisseure nicht gerechnet, sehen sie ihr Projekt doch als Werbung für die Demokratie. Und auch die Teilnehmer – unter ihnen viele, die in Bonn eng mit dem Bundestag zu tun hatten – waren überrascht. Schließlich ist der ehemalige Plenarsaal Dreh- und Angelpunkt des Projekts. Er hat das Regieteam Bernd Ernst, Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel inspiriert. „Es ist eine einmalige Situation, dass es so einen Raum zwei Mal gibt. In Bonn und in Berlin. Das wollen wir nutzen“, sagt Helgard Haug.



Die Regisseure interessieren sich nicht für fertige Theatertexte. Sie arbeiten lieber mit „Spezialisten für eine Situation“. „Das sind Menschen, die wir sonst nie kennenlernen würden. Sie sind keine Schauspieler, haben aber eine besondere Perspektive“, so Daniel Wetzel. Alle haben gemeinsam, dass ihr Interesse an Politik bei weitem jenes am Theater übersteigt.

Das Volk vertritt die Volksvertreter. So lässt sich die Idee von „Deutschland 2“ zusammenfassen. Während der Bundestag in Berlin debattiert, sprechen die Darsteller in Bonn die Reden nach. Sie bekommen den Originaltext per Kopfhörer ins Ohr übertragen und geben ihn Sekunden später wie Übersetzer wieder. Es geht dabei um ein möglichst genaues Abbild des politischen Tagesgeschehens in Berlin. Wer nicht redet, darf applaudieren, dazwischenrufen oder der Sitzung auf den Wandelgang entfliehen.



Zuschauer können die Debatte ab 9 Uhr bis in den Abend verfolgen. Noch nie haben die Regisseure mit einer so großen Gruppe gearbeitet. Bei den Proben ging es nicht nur um Sprechtraining, sondern vor allem um Politik. Schon bei der Wahl der Abgeordneten war die Motivation der Vertreter ganz unterschiedlich.

„Es ist einfacher, etwas zu sagen, zu dem man auch nicken kann“, entschied sich ein Mann für Edmund Stoiber. Ein anderer wollte jemanden aus der CDU/CSU gerade deshalb vertreten, „weil da die Identifikationsgefahr am geringsten ist“. Ein Dritter entschied pragmatisch: „Scharping, der spricht langsam“.



Wo das Rednerpult letztlich steht, ist noch offen. Bis zuletzt will Theater der Welt am Aufführungsort Bundeshaus festhalten. Zwar hat der noch amtierende Bonner Generalintendant Manfred Beilharz der Produktion Asyl in der Oper angeboten, aber der bundesadler gehört einfach dazu. Bis zum 20. Juni soll die Entscheidung, wo „Deutschland 2“ stattfindet, fallen.


Projekte

Deutschland 2 (Theater)