Spiele mit kleinen Autos und mit der Realität

Fachmann für Dokumentartheater Stefan Kaegi forscht die Welt des Transports und des Bewegens nach

Von Undine Adamaite

03.11.2006 / Kulturbeilage DIENA

Mit seinen kleinen Autos hat der Künstler und Regisseur Stefan Kaegi (Schweiz) in diesem Jahr das sechzigjährige Avignon-Festival erobert. Seine Aufführung „Mnemopark“ – spannende Grossaufnahme realer Modellbauer in einer irrealen Welt – liess über „die ungewöhnlich ausgeprägte Lebenskraft“ seiner Handschrift zu sprechen. Mit Hilfe von Minikameras auf einem Eisenbahnmodell entstehen ganz ungewöhnliche Bilder, die auf einer grossen Leinwand projiziert werden, – riesengrosse Köpfe der Modellbauer in der Zwerglandschaft. Verspätet, liebe Freunde! – könnten die Besucher von „Homo novus“ Festivals rufen. In Riga ist Kaegi kein unbekannter Namen. Zusammen mit der deutsch-schweizerischen Gruppe „Rimini Protokoll“ war er hier bereits 2005. Im Rahmen eines besonderen Projekts wurde eine experimentelle Aufführung „Cameriga“ gemacht: das Stadthaus Riga wurde von den Geschichten der Zeugen der Epoche verpackt und wieder belebt.

Stefan Kaegi ist ein dreiunddreissigjähriger Junge mit schelmisch neugierigen Augen hinter Brillen eines Wissensgierigen – aber kein Anhänger der Methode der spontanen, intuitiven und schnellen Ideen. Bevor er seine Aufführungen macht, taucht er in sorgfältigen Nachforschungen der Dokumentarrealität oder des wirklichen Lebens ein.

Nun setzt das Institut des neuen Theaters sein Gastspielprogramm fort und bringt nach Riga die neueste Aufführung von Kaegi „Cargo Sofia“. Bis zu den Vorstellungen am 7., 8., 9., 10., 11., 13., 14. November werden sie der lokalen Umgebung angepasst und zum „Cargo Sofia-Riga“ werden.

Die Zuschauer werden in einem umgebauten bulgarischen LWK einsteigen, der statt Güter Geschichten befördern wird.

Die nächtlichen Strassen von Riga, Tankstellen und Häfen werden die Bühne sein. Die Hauptrollen haben zwei bulgarische Fernfahrer Ventzislavs Borisovs und Nedjalko Nedjalkovs, so wie auch die Sängerin aus Lettland Ludmila Ignatova. Beim entstehen von Cargo X hat der Regisseur sorgfältig die Beförderungsstatistiken und das europäische Strassennetz kennen gelernt, mit den Fahrern gesprochen und zusammen gereist. Durch die offenen Türen werden die Zuschauer auf ihre Stadt wie durch Mikroskop schauen können, weil die Bühne, worauf die Handlung abspielen wird, diesmal ein Motel am Strassenrand, Imbiss, Tankstelle, Verladungsplatz, Zollkontrolle sein wird. Im Zentrum dieses realen Umfelds werden Fernfahrer, ihre Geschichten und Videoaufnahmen stehen.

Man kann zwar sagen, dass wir schon in den Autos gesessen haben. Bereits 1995 lud Alvis Hermanis die Zuschauer in ein Bus, der im Hof des Neuen Theaters stand, ein. Dieser Bus fuhr aber nirgendwohin. Auf dem Programm des Theaters „United Intimacy“ steht die Aufführung von Andrejs Jarovojs „Spricht Riga“. Auch der Gedanken, das Dokumentartheater in die Stadtumgebung zu bringen und verschiedenen Räumlichkeiten anzupassen, ist für Lettland nicht neu. Vielleicht gerade deshalb lohnt es sich, auch mit Kaegi zu reisen. Er versteht es, uns unsere eigene Augen in die Hände zu legen, Fernröhre herumzudrehen und die Welt von einem anderen Stadtpunkt anzuschauen.

- Was nimmst du für die Reise mit?

- Meine Frau bereitet Grillhühner vor. Ich habe immer ein Messer mit. Früher war es ein grosses Messer, jetzt ein kleineres. Immer eine Flasche Schnaps. Und noch nehme ich die Ikone von Jungfrau Maria mit.

So erzählt über sein tägliches Leben auf den grossen Strassen der bulgarische Fernfahrer Ventzislavs Borisovs in der Aufführung „Cargo Sofia“.


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Cargo Sofia-X