Soko Sao Paulo - Stefan Kaegi - Lola Arias

Uraufführung Spielart München

Von Sven Ricklefs

21.11.2007 / Für Kulturwelt, BR - Und Kultur aktuell, SWR


Zuspiel 1
Sirene
Drüber

Zuspiel 2
026
Hallo hier ist die Polizei,

Thiago ist 24. Mit 6 schon hat er schießen gelernt, von seinem Vater dem Militärpolizisten. Er mochte schon immer Gangsterfilme sagt er heute, es ging ihm ums Adrenalin. Nur drei Jahre war er selbst bei der Militärpolizei von Sao Paulo, der gefährlichsten Stadt der Welt, jetzt fährt er Geldtransporter für eine Securityfirma, die ihm das dreifache Honorar zahlt. Würde er ausgeraubt, heißt es, verlöre er seinen Job, erschießt er dagegen einen Gangster, bekäme er ein Kopfgeld. 30

Zuspiel 3 wie 2
Hallo hier ist die Polizei

In einem dieser gedrungenen bedrückend leeren Kleinräume des ehemaligen Leipniz-Rechenzentrums in München demonstriert Thiago den Einsatz in einer Favela. In Sekunden muss er entscheiden, ob in der zu stürmenden Hütte tatsächlich nur ein Journalist, eine Frau mit einem Kind oder ein gewaltbereiter Verbrecher verborgen ist. Sekunden, die über sein Leben entscheiden können, oder über das seines Gegenübers. 30

Zuspiel 4
Romanausschnitt schon drunter legen
Hoch
Drüber

Manuela ist Kommissarin für interne Früherkennung und Fehlentwicklungen in München. Ihre Arbeit besteht vor allem im Lesen und Überprüfen von Beschwerden über Polizisten. In ihrer Freizeit schreibt sie an ihrem Phantasyroman „Die Farben der Finsternis“. 16

Zuspiel 4 noch mal kurz hoch
Drüber

In Manuelas Zimmer in der szenischen Installation „Soko Sao Paulo“ hängen wie überall ein paar einsame verlorene Fotos an der Wand, Schnappschüsse aus ihrem Berufsalltag, versehen mit kleinen Kommentaren. Diese Räume evozieren die Aura von Behörden, von Polizeiämtern und ihrer wohl unvermeidlichen und manchmal so erbarmungswürdigen Düsternis und sie haben zugleich etwas von bewusst missglückten Ausstellungsräumen. Manuela liest nicht nur, sie erzählt auch von sich, davon, dass ihr Idealismus für das richtige einzutreten, weswegen sie einmal diesen Beruf ergriffen hat, längst einer Nüchternheit gewichen ist. Dass sie inzwischen begriffen hat, dass Recht und Gerechtigkeit nicht immer ein Synonym sind. Und sie erzählt davon, dass sie das enge Regelkorsett ihres Berufes wenigstens in ihrem Roman übertreten kann.

Zwei Polizistenleben, zwei Städte: Im Bundesstaat Sao Paulo arbeiten über 150.000 Polizisten, in München sind es 6000. Hier wurde der letzte Beamte im Dienst vor über 10 Jahren erschossen, in der Megacity Sao Paulo sterben pro Monat mindestens 2-3.. Und doch sucht das Regisseursgespann Stefan Kaegi von Rimini Protokoll und Lola Arias aus Buenos Aires die Gemeinsamkeiten im biographischen Material ihrer Selbstdarsteller, ihrer „Experten des Alltags, die als Vertreter des Rechts die Lizenz zu töten haben, die Gewalt ausüben sollen um Gewalt zu verhindern und die als Gesetzeshüter ganz eigenen Gesetzen unterworfen sind. 1.35

Zuspiel 5
20 Sambamusik

Da ist etwa Isabel, die Telefonistin, die pro Tag etwa 600 Notrufe entgegen nehmen muss, von Menschen, die im Begriff sind, ermordet zu werden oder: sich selbst umzubringen, die verfolgt werden, entführt wurden, in einem Kofferraum liegen und nicht wissen, wo sie sind. Sao Paulo ist Weltstadt des Verbrechens. Um ihre Magenschmerzen, ihr Kopfweh, ihre Depression nach dem Dienst zu überwinden, geht Isabel in die Sambaschule. Und auch hier in München tanzt sie einen Samba, nachdem sie von sich erzählt hat. Auch wenn man nur wenige Minuten in ihrem Raum war, hat man das Gefühl, Isabel begegnet zu sein. Und so funktioniert hier in diesen persönlichen Begegnungen mit dem Hundeführer, dem Polizeifotografen, der Verkehrspolizistin, der Telefonisten so funktioniert hier das Authentizitätstheater von Kaegi und Arias, das im deutschsprachigen Raum längst durch das Kollektiv Rimini-Protokoll salonfähig geworden ist. Es entwickelt trotz seiner Nähe zum Alltag noch immer eine ganz eigene theatrale Poesie und kann zugleich durch seinen Wirklichkeitsgehalt auf andere Weise betroffen machen als herkömmliches Theater. Und so hätten Kaegi und Arias gut und gern auf das leicht didaktisch daherkommende Videomaterial, mit dem sie einige Räume füllen, verzichten können. Doch das ist ohnehin schnell vergessen, wenn sich alle Mitspieler zum Schluss zu einem kleinen Fußballmatch versammeln, noch einmal Angriff und Verteidigung erproben und zugleich – kommentiert von dem prominenten Fußballkommentator Günther Koch – zeigen, dass dies alles auch nur ein Spiel war.


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SOKO São Paulo