So gerne, habe ich mich noch nie zur Ware degradieren lassen

Cargo Sofia-Basel

Von Dagmar Walser

01.06.2006 / Schweizer Radio DRS 2

Statt Fischen, Wassermelonen oder Klopapier, ist das Publikum die Ware, drei enge Reihen sind längs in den Lastwagen eingebaut, gerade mal 47 Leute haben darauf Platz. Und nachdem alle angeschnallt sind, übernehmen die beiden Fahrer:

OTON eins


Vento und Slavtscho sind wirkliche Lastwagenfahrer. Seit  Jahrzehnten. Sie kennen das Geschäft, mit all seinen schwarzen Seiten, sie sind auf der Strasse zu Hause, und träumen in ihren Trucks von ihren Frauen und Kindern. Für uns sind sie eine Mischung aus den besten Touristenführern, die man sich wünschen kann - und faszinierenden Schauspieler.

OTON zwei

Von Sofia über Ungarn, Kroatien, Slowenien, Italien in die Schweiz solle die Reise gehen, quer über die europäischen Autobahnen, zwei Wochen in etwa, je nach Stau und Wartezeiten an den Grenzen. Und tatsächlich sehen wir als erstes Strassenbilder von Sofia an uns vorbei ziehen. Daneben kriegen wir Informationen über das Auf und Ab auf dem bulgarischen Transportunternehmen-Markt der letzten Jahre, und wir hören zusammen Musik, so wies eben ist, wenn man "on the road" ist. - Wir rollen durch Basel, und sind mit dem Kopf in Bulgarien.

Dann geht die Leinwand hoch - und macht den Blick frei auf die Strassen von Basel.

Wir sind schon fast beim Zoll, ich kenne den Weg, doch so habe ich ihn noch nie gesehen. Das ist eine der Kernerfahrungen vom Projekt "Cargo Sofia-Basel". Man schaut anders auf bekanntes.

 

In den nächsten eineinhalb Stunden passieren wir den Zoll, fahren über Verladerampen, den Containerhafen, über Landstrassen und Autobahnen. - Und wir treffen immer wieder auf Experten aus dem Alltag. Bei der deutschen Möbelspeditionsfirma Fröde etwa, die Möbel von internationalen Anbietern lagert und sie weltweit verschickt.

OTON drei

 

Geschichten, Zufälle, Parallelgeschichte ziehen sich durch diesen ungewöhnlichen Theaterabend. Von der Guckkastenbühne im Lastwagen kriegt man Einblick in einen Gesellschaftsbereich, der einem sonst eher verschlossen bleibt. Und der einem hier auf unterschiedlichen Ebenen im besten Sinne des Wortes unterhält. Da zieht sich der Aufstieg und Fall der Firma Willi Betz als ein roter Faden durch die Fahrt, 1953 mit fünf Lastwagen gestartet entwickelte sie sich schnell zu einem der führenden europäischen Familienunternehmen - bis der Sohn des Gründers wegen luschen Geschäften verhaftet wurde. Es gibt viele solche roten Fäden: da ist etwa eine Bauchtänzerin, die immer wieder an den unmöglichsten Orten tanzt und singt.

OTON vier

Einmal steht sie mitten auf einem Strassen-Kreisel, wir drehen drei Runden im Truck - und natürlich fällt nicht nur die schöne Sängerin, sondern auch wir den anderen Autofahrern auf... "Cargo Sofia Basel" ist eine theatrale Intervention in den Alltag, die es auf unsere Wahrnehmung abgesehen hat. Man lässt es sich gerne gefallen, wird angeregt und inspiriert, reflektiert und ist gleichzeitig im Moment gefangen.  - So gerne, habe ich mich noch nie zur Ware degradieren lassen.


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