Probefahrt ins Familiengrab

Rimini Protokoll zeigt „Deadline“ im HAU 2

Von Peter-Hans Göpfert

13.05.2004 / Morgenpost

Nein, die berühmten „letzten“ und „großen“ Worte hat die „Mortalitätsstatistikerin“ nie aus dem Munde Sterbender vernommen. Alle riefen nur nach „Mama“. Und welches sind die musikalischen Schlager in den Aussegnungshallen landauf, landab? Cats, Titanic und Harald Juhnke. Und natürlich das unschlagbare „Ave Maria“. Solche und viele andere Informationen erfährt der Besucher von „deadline“ beim Gastspiel des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg.

Anlass für diese Produktion der findigen Gruppe „Rimini Protokoll“ war, selbstredend, ein Sterben: die kleine Spielstätte „Neues Cinema“ muss aus Finanzgründen dichtmachen. Und um Tod, noch mehr um die damit verbundenen geschäftsmäßigen Rituale geht es den Regisseuren Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel.

„Theater“ ist den Riminis zunächst einmal unwichtig. Sie haben sich Spezialisten des Betriebs rund um den Tod herangezogen. Hier stehen Laien auf der Bühne, andere werden mit Film- und Ton-Einblendungen in die Aufführung gezoomt. Da gibt es einen echten ehemaligen SPD-Bürgermeister. Der ließ ein besonderes Krematorium bauen. Ein Steinmetz, eine Präparatorin, eine Trauermusikerin und ein Trauerredner sind ebenfalls anwesend. Ein Oberbilleteur vom Wiener Burgtheater hat draußen schon die Eintrittskarten abgerissen. Jetzt stellt sich heraus, er arbeitete früher als Sargträger und kann wertvolle Korrekturen beim Arrangement der Kränze und Schleifen geben.

„Groß“ ist die Aufführung nicht. „Großes Theater“ schon gar nicht. Aber die Regisseure belassen es nicht bei ready-made und Dokumentation. Mit Requisiten, Licht, Ton, Film und Bildkästen geben sie dem Abend bereits eine ästhetisch eigenen Qualität. Mag der Trauerredner vor unseren Augen gleichsam eine Probefahrt ins eigene Familiengrab unternehmen und dabei die Erdschichten mit seinen bereits bestatteten Angehörigen und höchst absonderlichen Fundstücken durchmessen, mag die Präparation andeutungsweise Schnitte an seinem „Leichnahm“ vollziehen – peinlich wird das nie. Religiöse Empfindlichkeiten werden nicht ernstlich berührt. Es kann nicht ausbleiben, dass die Sache einen Stich ins Satirisch-Makabre bekommt. Manchmal denken wir an Evelyn Waugh und „Tod in Hollywood“. Die Zelebrierung des Exitus kann recht banal aussehen. In Windeseile wird uns der Umbau der Kapellendekoration vorgeführt. So gewinnt „deadline“ ganz unangestrengt aus Recherche, dokumentarischen Mitteln und ironischer Distanz eine beträchtliche Aussagekraft. Manchem Zuschauer schien dies nicht wichtig genug. Allein die ungewöhnliche Form, sich einem elementaren Thema zu nähern, macht die Produktion für das Theatertreffen interessant.

HAU 2, Hallesches Ufer 32, Kreuzberg.

Tel: 25 90 04 27. Termine: 13., 15., 16. Mai jeweils 20 Uhr


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