Obszönität ist Stärke

Praktikable und weniger praktikable Modelle von Leben und Sterben / Torero Portero u. a. in Köln

Von Christiane Kühl

25.06.2002 / Tageszeitung

"Hier gab es nie eine Revolte", informiert die beige-braun uniformierte Dame an der Eingangsschleuse der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf. "Es gibt auch keinen Grund dazu", ergänzt ihr Kollege bestimmt. Die umstehenden Besucher grinsen. Es ist dieses mild amüsierte Premierenpublikumsgrinsen, das noch nie ein Gefängnis von innen gesehen hat, aber seine Hoffnung auf eine kleine Revolte, wo auch immer auf dieser Welt, einfach nicht fahren lässt. Western West Germany 2002.

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Auch "Torero Portero" geht von einer konkreten sozialen Situation aus. Der in Frankfurt am Main lebende Regisseur Stefan Kaegi, bekannt für seine konzeptuellen Inszenierungen mit Laien, hat im argentinischen Córdoba eine Inszenierung mit drei arbeitslosen Pförtnern erarbeitet. "Arbeiter werden bald im Museum in Vitrinen stehen. Damit man noch weiß, was ein argentinischer Arbeiter ist", erklärt einer von ihnen lakonisch. Vorerst jedoch sitzt das deutsche Theaterpublikum in einer Vitrine - genauer in der Galerie Borgmann-Nathusius, mit Blick auf die breite Fensterfront. Dahinter fahren Busse, leuchten Reklamen, halten türkische Sieger Fahnen aus ihren Autos - und trinken drei Pförtner auf einer Verkehrsinsel Mate. Über Mikrofon werden ihre Erinnerungen an Mietshäuser in die Galerie übertragen, wo sie mit einem Soundtrack und kurzen Videos ihrer ehemaligen Arbeitsstätten gemixt werden. Ein wunderbares Vexierspiel, das Passanten staunen lässt; weniger über die Männer mit den großen Schlüsselbunden als über das exotische Publikum.

160 Vorstellungen zeigt das Festival in zehn Tagen in vier benachbarten Städten. Am ersten Wochenende liefen mehr Inszenierungen, als eine Person gucken konnte; wer nur zwei oder drei am Tag sah, begann unwillkürlich, das Disparate zu verbinden. Der tote brasilianische Jesus saß da plötzlich neben dem argentinischen Himmelspförtner Petrus, während die chinesische Kommunistin der Peking Opera Company hoffnungsfroh verkündete, dass der Tod für die Partei einer zweiten Geburt entspräche. Biografie, Macht und Ohnmacht war dominierendes Thema der internationalen Produktionen. Auch wenn sie einzeln nicht als Dokumentationen sozialer Missstände missverstanden werden dürfen, dokumentiert ihr Nebeneinander sehr wohl den aktuellen Stand künstlerischer Repräsentation.

taz Nr. 6783 vom , Seite 15, 197 TAZ-Bericht CHRISTIANE KÜHL


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