Nie wieder Fernsehnachrichten!

"Breaking News", ein medienkritisches Stück der Gruppe Rimini Protokoll in Berlin

Von Michael Bienert

07.01.2008 / Stuttgarter nachrichten

Der größte Lacherfolg gehört der Kanzlerin. "Wir sollten das nicht auf die lange Bank schieben, sondern Nägel mit Köpfen machen", merkelt es von zwanzig Bildschirmen gleichzeitig ins Theaterpublikum. Worum es in dem Ausschnitt aus der ARD-Tagesschau geht? Egal, meint der Medienkritiker Walter van Rossum, ein langhaariger Mittfünfziger, der mitten auf der mit Fernsehmonitoren zugestellten Bühne noch Platz für einen sportiven Kopfstand findet. So aufgestellt durchleuchtet er das Betriebsgeheimnis der beliebtesten deutschen Nachrichtensendung: ihren "Konformismus mit der politischen Mitte". Rossum hat beobachtet, dass für die Tagesschau-Redaktion in politisch ruhigen Zeiten neunzig Prozent der Themen bereits eine Woche vor der Sendung feststehen: die Termine von Parlamentsdebatten, Parteitagen oder Pressekonferenzen werden ja auch früh genug bekannt gegeben, damit die Fernsehleute sie einplanen können.

Terroristen und Naturkatastrophen stören den gleichförmigen Strom der Informationen, die stetig aus aller Welt in den Agenturen und Redaktionen einlaufen. Für Ereignisse außerhalb der Nachrichtenroutine gibt es Klingelzeichen und Farbsignale, damit sie von den Redakteuren nicht übersehen werden. Als "Breaking News" flimmern sie dann weltweit über die Bildschirme.

"Breaking News - Ein Tagesschauspiel" heißt die neueste Produktion von Rimini Protokoll, eines lockeren Verbundes von Regisseuren, die statt mit Profi- oder Laienschauspielern lieber mit "Experten des Alltags" arbeiten. Andreas Osterhaus sortiert und gewichtet die einlaufenden Meldungen von dreitausend Journalisten in der Nachrichtenagentur AFP. Das ist sein Beruf. Nun versucht er vom rechten Bühnenrand nicht immer erfolgreich, das Stimmengewirr der anderen Experten zu strukturieren. Sie übersetzen und kommentieren aktuelle Fernsehnachrichten von arabischen, indischen, pakistanischen oder südamerikanischen Sendern. Zu diesem Zweck wurden vier Satellitenschüsseln auf dem Theaterdach installiert, die zweitausend Programme einfangen können.

Dass die Livenachrichten bei jeder Aufführung andere sein werden, sorgt für eine gewisse Grundspannung in dieser eher statischen Versuchsanordnung. Am Tag der Premiere startete die Tagesschau mit den Tarifverhandlungen der Lokführer, das russische Staatsfernsehen zeigte einen gut gelaunten Wladimir Putin beim Skifahren, und in Syrien eröffnete Staatspräsident Assad einen Staudamm. Sieht man die weltweiten Spitzenmeldungen nebeneinander, ist sofort deutlich, wie beschränkt die heimische Perspektive ist. Zugleich sind die Nachrichtenbilder aus aller Welt so ähnlich aufgebaut, dass die gezeigten Personen und Ereignisse absolut austauschbar wirken.

"Und ist der Redakteur auch noch so fleißig / Es bleibt immer bei Einsdreißig", zitiert die ZDF-Nachrichtencutterin Marion Mahncke eine goldene Regel beim Verfertigen von Fernsehnachrichten. Der ehemalige Theaterkritiker und ARD-Afrikakorrespondent Hans Hübner sagt es so: "Film und Fernsehen sind keine analytischen Medien." Einer seiner alten Berichte wird eingespielt, ironisch kommentierte Bilder von der Landung der US-Truppen in Somalia im Jahr 1992, einem Spektakel für die Weltpresse. Hübner hat ein Reclamheft in der Hand, er liest aus Aischylos" Tragödie "Die Perser": ein hochaktuelles Drama über die Reaktionen eines sieggewohnten Landes, das die Nachricht vom Untergang seiner Armee zu verarbeiten hat.

Das 2500 Jahre alte Drama mit der Nachrichtenwelt von heute zu verschneiden, ist eine gute Idee - nur machen die Rimini-Regisseure Helgard Haug und Daniel Wetzel für das Theater wenig daraus. Sie legen der rot gewandeten Inderin Sushila Sharma-Haque, die bis zur Pensionierung als Sprecherin für die Deutsche Welle tätig war, die antiken Verse der persischen Königinmutter Atossa in den Mund. Und sie lassen ihre Expertenriege zum Gymnastikprogramm des Pentagon-Fernsehens vor den flimmmernden Monitoren tänzeln. Belebungsversuche sind das, keine Theatermomente, die sich einbrennen.

Die Bühnenmitte regiert Djengizkhan Hasso mit sympathischer Lebhaftigkeit, ein Kurde aus Syrien, der als jesidischer Priester, Dolmetscher und Psychologe in Deutschland lebt. Beim Zappen durch arabische Sender hat er plötzlich Bilder von der Erschießung amerikanischer Soldaten auf dem Schirm - und bittet den Nachrichtenbroker, auf einen anderen Kanal zu wechseln. Hasso ist auch Präsident einer politischen Organisation von Exilkurden und wurde vor ein paar Wochen von George Bush im Weißen Haus empfangen. Das Gespräch stellt er mit anderen Spielern auf der Bühne nach. In diesem Moment verwandeln sich die Experten des Medienalltags tatsächlich in Laiendarsteller. Die Rimini-Regie jedoch versäumt es, daraus eine Theaterszene zu formen, lässt die Akteure ziemlich unbeholfen auf der Bühne herumstehen.

Die Rimini-Abende sind umso stärker, je mehr man von Menschen zu Gesicht bekommt, die mit ihrem Alltag sonst nicht den Weg ins Theater finden. Das medienkritische Zapping von Sender zu Sender in "Breaking News" lässt zuwenig Raum für die neun Experten. Am Ende wüsste man gerne mehr über sie. So bleibt nur die Ahnung, dass die Menschen hinter den Nachrichten viel interessanter sind als die Nachrichten.


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