Mit der Zitrone am Abzug

«Shooting Bourbaki»: Schweizer Kriegsspiele in den Sophiensaelen

Von Peter Hans Göpfert

30.03.2002 / Berliner Morgenpost


Das deutsch-schweizer Regie-Team von Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel kennt keine Generationen-Angst. Die Drei hatten bereits in Frankfurts «Mousonturm» ein Stück mit vier 80-jährigen Frauen über deren Vergangenheit als Formel-1-Pilotinnen über die Runden gebracht. Und wenig später schon veranstalteten sie im «UG» des Theaters Luzern ein Casting mit Minderjährigen: fünf Jungen, zwischen 11 und 15 Jahre alt, spielen «Shooting Bourbaki». Jetzt gastierten die Schweizer Buben im «Hochzeitssaal», drei Treppen hoch in den Sophiensaelen.
Das aus Improvisationen hervorgegangene Stück spielt mit lokalen und historischen Anspielungen des Premieren-Schauplatzes. Besagtes «UG» ist ein ehemaliger Schießstand, noch heute liegt es Wand an Wand mit einem der «modernsten unterirdischen Schießstände von Zentraleuropa». Das «Knabenschießen» ist ein Zürcher Volksfest, bei dem 13- bis 17-Jährige Wettschießen veranstalten.
Das gerundete Bühnenbild, eine Alpenszenerie, zitiert das Rundpanorama, eine Luzerner National- und Touristenattraktion. Dieses heute 112 Meter umfängliche, zehn Meter hohe Gemälde erinnert daran, wie am Ende des 1870/71-Krieges mehr als 87 847 französische Soldaten in der Schweiz interniert waren und dort zunächst 70 000 Gewehre zurückließen.
Die Fünf haben allerlei «sprechende» Requisiten imGepäck: Splitterpistole, Raketenwerfer oder mit Kettensägegerüstete Figürchen des «Warhammer»-Spiels. Auch eine Fachzeitschrift der Waffenbranche. Einer trägt den ganzen Abend eine recht unbequeme Schießjacke. In Videos sieht man die Jungen beim Schießtraining.
Die Spieler stellen sich vor. Wenn sie ihre Wohnung beschreiben, kommen sie auch zu der Stelle, wo Opa und Vater ihre Waffen bereit halten. Aktionen werden unversehens zum Ausdruck aggressiven Handelns. Laute Schreie sollen die Dezibel eines abgefeuerten Schusses
erreichen. Das Ausquetschen einer Zitrone steht für den Finger am Abzug. Selbst die Fernbedienung des Videos wird zur Pistole. Denn natürlich kennen diese arglosen Knaben ihre «Star Wars», die verschiedensten Herrschafts- und Kampfspiele aus dem Effeff.
Die Inszenierung nimmt ihr Thema indirekt ins Visier. Film-Sequenzen und Töne aus Lehr- und Spielfilmen werden in Monologen und selbstständigen Aktionen eingekreist. Die Jungen springen wie Geschosse ins projizierte Ziel. Sie stürzen, springen und fallen. Auf den Rappen genau können sie die Rechnung hersagen, welche die Schweiz damals den Franzosen nach ihrer menschenfreundlichen Bourbaki-Aktion aufmachte.
Mühelos wird der Subtext der Inszenierung erkennbar. Es geht um Aggression, verdecktes oder offenes Angriffsgebaren in Unterhaltungsmedien, Computerspielen, Rockkonzerten. Allerdings ist der Grund-Einfall der Produktion, der Kontrast jugendlicher Akteure und der «erwachsenen», auf Kampf abgestellten Realität, ungleich stärker als das Ergebnis. Das mindert jedoch nicht das Vergnügen an dieser Aufführung. Die Spieler sind wach und frisch bei der Sache. Ihre Lässigkeit wirkt wie blanke Ironie.
Sophiensaele, Sophienstr. 18, Mitte. Kartentel.: 283 52 66.
Vorstellungen: 30. / 31.3., 20 Uhr.
Kampfgebrüll im Keller


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Shooting Bourbaki