Mit 10'000 lebenden Heuschrecken im Theater

Im Zürcher Schiffbau kam das Stück «Heuschrecken» zur Uraufführung, lebende Tiere inklusive.

Von Simone Meier

21.09.2009 / Tagesanzeiger

Nein, es ist nicht schlimm, mit den etwa 10'000 Afrikanischen Wanderheuschrecken im Theater zu sitzen. Die Tiere, deren Fressgier nicht einmal voreinander haltmacht, befinden sich nämlich in einem riesigen Terrarium. Dominic Huber hat ihnen dort eine verspielte Wüstenlandschaft gebaut, mit einem Swimmingpool, einem klingenden Zaun und mit von Heizschlangen gewärmten Plätzen. Etwas abseits stehen die Brutkästen für die Jungtiere.
Der Insektenforscher Dr. Jörg Samietez kann die fliegfaulen Tiere mit einem Kunststück dazu bringen, ihre Flügel zu bewegen, und füttert sie mit mehreren Büscheln von Gerstenkeimlingen: Bis zum Ende der knapp 90-minütigen Vorstellung sind sie ratzekahl abgefressen, und die Heuschrecken malträtieren die kümmerlichen Pflanzenreste mit einer Aggressivität, dass man die biblischen Plagen sehr drastisch vor Augen hat.
Die Astrophysikerin Barbara Burtscher wiederum erzählt von der Angst des Menschen vor dem Insekt an sich, die darin liegt, dass wir den pupillenlosen Tieren nicht richtig in die starren Augen schauen können, und der somalische Chemiker Dr. Zakaria Farah erklärt, wie das Leben somalischer Nomaden dem der Heuschrecken gleiche, wie da ständige Migration ohne Beachtung der Grenzen möglich sei. Und immer ist natürlich auch von der Heuschrecke als Ressourcenvernichterin die Rede, als einfältiger, aber höchst überlebensfähiger Feind des Menschen.
Trotzdem hat dann nur der Musiker Bo Wiget, der den Abend begleitet, mal zum Ausprobieren ein paar von den Bewohnern des Terrariums frittiert und gegessen. «Heuschrecken» ist also mal wieder ein prototypischer Rimini-Protokoll- Abend, eine Verschränkung von anschaulichen naturwissenschaftlichen Fakten mit weltpolitischen Theorien. Als Zuschauer wähnt man sich da mitten im Making-of eines besonders klugen Dokumentarfilms, und wie Stefan Kaegi und seine Mitstreiter (bei «Heuschrecken» ist Kaegi alleine) ihre je nach Projekt wechselnden, real existierenden Experten immer wieder dazu bringen, sich bühnentauglich selbst darzustellen, ist sowieso ein Wunderding. Dafür gewannen sie letztes Jahr auch den grossen Europäischen Theaterpreis als innovativste Theaterschaffende weit und breit.
Natürlich ist dies ein Inszenierungsdesign, das sich bei allzu fleissigem Rimini-Konsum etwas erschöpft, aber irgendwann damit anfangen sollte jeder Theaterfan unbedingt.

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