Lebenslinien und biographische Löcher

Das Adoptionsstück "Black Tie" von Rimini Protokoll und ein surrealer Tanzabend von Anne Hirth im HAU

Von Doris Meierhenrich

13.12.2008 / Berliner Zeitung

Ach wenn es so einfach wäre mit den bunten Erzählsträngen und wildverknüpften Lebensfäden, wie sie die Tänzer der Produktion "Und übrigens kann ich fliegen" in Gestalt eines Fadens kreuz und quer durch das HAU 2 spannen. Aber wenn Ordnungen sich so einfach öffnen und fügen ließen, wie sich die Tänzer gruppieren - dann würde die wütende Miriam Yung Min Stein nicht zur selben Zeit im HAU 3 vor einer Leinwand stehen, mit Fotos von Stalin, Roosevelt und ihren deutschen Adoptiveltern im Nacken, und ausrufen: "Altruismus kotzt mich an! Internationale Hilfe kotzt mich an! Bono kotzt mich an!"
Was ist passiert? Warum mag die junge Miriam mit dem asiatischen Aussehen, die Helgard Haug und Daniel Wetzel für ihr Stück "Black Tie" aufgetrieben haben, die Wirklichkeit nicht auch einfach als wundersame Einheit von Gegensätzen begreifen, wie die Regisseurin Anne Hirth es tut in ihrem naiven Traumtanztheater nebenan? Vielleicht, weil die 31-jährige Miriam mit ihren zerrissenen Lebenslinien nicht zum "Fliegen" ansetzt, sondern ein wahres Leben erzählt, dessen Schmerz sie nach wie vor am Boden hält.
Miriam ist ein Adoptivkind aus Südkorea, das wie so viele koreanische Waisen in den 70ern aus seiner Heimat in westliche Länder, speziell nach Deutschland "importiert" wurde. Das klingt böse, denn die Familien, die sich für eine solche Adoption entschieden, taten das in guter Absicht. Die Adoptionspraxis von "terre des hommes", die auch Miriam vermittelte, ist inzwischen eingestellt worden. Zu spät für Miriam und tausende anderer Koreaner, die ihre Kindheit als Geschichte der Entfremdung nicht loswerden.
Miriam wuchs in Osnabrück auf zwischen lauter blonden Geschwistern, die nun von den Fotos hinter ihr herunterlachen. Damals ließen sie sie immer unglücklicher werden in ihrem eigenen Körper. Das deutsche Mädchen verstand seine fernöstliche Gestalt nicht, die sie von den anderen unterschied, wofür ihre Adoptivmutter einmal die Erklärung fand: "Es gibt Kinder, die kommen aus dem Bauch und andere, die kommen aus dem Flugzeug"."
Black Tie" ist wie so oft bei Rimini Protokoll ein scharfsichtiger Vortragsabend mit eleganter Filmtechnik, den Miriam und ihre Gesprächspartnerin Hye-Jin Choi allein bestreiten. Doch überrascht er durch seine polemische Einseitigkeit. So rücksichtslos den vielen Parteien gegenüber sah man die Riminis selten. Fast möchte man vor Peinlichkeit im Sessel versinken, als die kühle Miriam einen dokumentarischen Kurzfilm abspielen lässt, in dem sich eine amerikanische Familie bei der ersten Begegnung mit ihrem asiatischen Baby filmen lässt. Die Elternselbstdarstellung grenzt an Kindesmissbrauch, doch schlachtet auch der Rimini-Abend die Betroffenen aus, anstatt die Widersprüche in subtilen Arrangements zu entlarven. Ein zweiter Film zeigt, wie sich ein anderes ehemaliges Adoptivkind im koreanischen Fernsehen für eine große Wiederfindungsshow hergibt: Ein dumpf grinsender Teenager und weinende Koreaner spielen große Gefühle vor, die es gar nicht geben kann in diesem biografischen Loch, in das alle miteinander abrutschen. Die Verlogenheit festzuhalten, darin liegt die Stärke von "Black Tie", doch verharren die Riminis zu sehr in Richter-Perspektive Miriams.Sie hat auf der Suche nach sich selbst und ihrer Herkunft ihre Osnabrücker Familie verlassen und sich der materialistischen Forschung zugewandt. Zwei Gentechnikunternehmen sollten aus ihrer Spucke ihre Identität entschlüsseln. Heraus kam, dass sie auf erhöhtes Prostatarisiko hinweise. Die Suche kann also weitergehen.

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Black Tie