Kommentar: Bonn ist nicht Berlin

Bundestagspräsident Thierse untersagt ein Bonner Polit-Happening mit dem Hinweis auf die Würde des Parlaments.

Von Doris M. Trauth-Marx

23.03.2002 / Rheinpfalz online

Da hatten ein paar Theatermacher - genauer: das Regieteam "Rimini-Protokoll" - eine ausgefallene Idee: Politik und Theater, so meinten sie, seien ja so weit auseinander nicht, ferner die Bürger der Stadt Bonn am Rhein seit dem Umzug der Regierung nach Berlin von wesentlichen Ereignissen abgeschnitten und der Wunsch nach körperlicher Anverwandlung nur noch medial vermittelter Vorgänge groß.


Also beschlossen sie, eines (noch) fernen Tages, nämlich genau am 27. Juni, und im Rahmen des Festivals Theater der Welt, in Bonn ein Polit-Happening steigen zu lassen. Und das sollte ungefähr so aussehen: exakt 669 Privatmenschen - so viele also, wie der Bundestag Abgeordnete hat - sollten das Bundeshaus füllen und dort, um wenige Sekunden zeitversetzt, eine reale Plenardebatte in Berlin nachspielen; das heißt nachspielen in dem Sinn, dass der oder die "Darstellerin" des oder der Abgeordneten XY während des korrekt gespiegelten Sitzungs-Ablaufs ans Mikrofon treten und XYs Meinungsäußerung wortgetreu wiederholen sollten.
Diese Aktion nach dem Motto "Das Volk vertritt die Volksvertreter" sei "als Werbung für die Demokratie" gedacht, so Matthias Lilienthal, Leiter des Festivals "Theater der Welt", auch seien schon nach dem ersten Aufruf "wahnsinnig viele" Interessierte zum Casting erschienen - wie die einschlägige Website beweist -, Menschen aus den honorigsten Berufen, von der Archivarin bis zum Ex-Obersten, die sich bei einer ersten Probe "hoch konzentriert" gezeigt hätten.
Für diese Bürger Bonns, so die Vermutung der Veranstalter, sei eben "die Geschichte des Bundestags noch nicht zu Ende."
Aber ach: Das Unternehmen hat jetzt kräftig Gegenwind bekommen. Ausgerechnet Bundestagspräsident Wolfgang Thierse - in den Theatern der Hauptstadt ein oft gesehener, wenn auch gelegentlich etwas steinern wirkender Gast - hob seine Stimme, um das Bonner Stück zu untersagen und legte "aus Sorge um die Würde des Parlaments" bei der Bonner Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann sein Veto ein.
Da fragt sich doch, wo Herr Thierse die Würde sucht und den Frevel wähnt. Etwa in der Tatsache, dass das von Abgeordneten entvölkerte Bonner Bundeshaus in memoriam genutzt wird? Oder darin, dass Menschen wie du und ich sich erdreisten, die hehren Worte der Parlamentarier in die eigenen ungewaschenen Münder zu nehmen?
Sollte Thierse, zahlloser verbaler Entgleisungen unserer Volksvertreter eingedenk, nicht eher befürchten, dass die sattsam bekannten Rüpeleien, durch die geplante Wiederholung verstärkt, der Öffentlichkeit erst so richtig in den Ohren dröhnen?
Wenn dem so wäre: Die Angst des Mannes wäre berechtigt. Denn was sich im parlamentarischen Alltag gewöhnlich rasch "versendet" - all die Verbalinjurien, mehr oder (meist) minder originellen Zwischenrufe, Bösartigkeiten und Dummheiten (jaja!) - prägte sich durch den künstlerischen Akt der Wiederholung unliebsam ein. Und würde verstärkt ins Gedächtnis rufen, dass die Parlamentarier selbst die Würde des Parlaments oft genug in den Sand setzen. Ganz ohne Mithilfe des Theaters


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