Knaben schiessen

Von Primin Bossart

24.01.2002 / Neue Luzerner Zeitung, Apero

 
(wöchentliche Beilage der NLZ, No.4, 24.-30. Januar 2002, Titelbild u. illustrierte Doppelseite). 


Das UG des Luzerner Theaters war einmal der Schiesskeller für die Stadtpolizei. Jetzt wird wieder geschossen. Hauptdarsteller sind fünf Knaben aus Luzern.

Sie heissen Valentin Erni, Thomas Hostettler, Diego Krauss, Ahmed Mehdi und Adrian Seitz. Sie sind zwischen dreizehn und vierzehn Jahre alt, gehen zur Schule, raufen miteinander, träumen von Mädchen, hören Sound, machen Videogames. Ganz normale Knaben im Stimmbruchalter. Aber seit zwei Monaten ist ihr Leben anders geworden: Die fünf sind die Hauptdarsteller in „Shooting Bourbaki“, einer Produktion des Regieteams Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel.

Schiessen. Auf der Bühne.
„Stress“, stöhnt Thomas, als er sich nach dem Probedurchlauf aufgedreht ins Sofa knallt. Aber eigentlich ist es ihm in seiner neuen Rolle ganz wohl. Was für eine Rolle hat er eigentlich? Niemand der fünf Buben spielt in diesem Stück eine Figur mit einem ganz bestimmten Charakter. Sie spielen und zeigen, was sie sind. Sich, ihre Gedanken, ihre Bewegungen, ihre Welt. Knaben ballern gerne. Jetzt können sie es auf der Bühne tun.
Schon sehen wir den imanginären Zeigefinger von empörten Erwachsenen. Schiessen. Auf der Bühne. Mit Jugendlichen. Als ob es nicht sonst schon gneug Aggressionen gäbe. Ahmed sagt: „Und was ist mit den James-Bond-Filmen? Das kann einen genauso zum Ballern animieren“. Diego: „Schiessen kann schon Spass machen. Aber deswegen muss man nicht aggressiv oder kriegerisch werden. Der Ernstfall ist etwas ganz anderes. Hier sieht man ja niemanden leiden und sterben“.
Schiessen im Sport oder als Freizeitbetätigung könne o.k. sein, aber im Krieg sei es völlig daneben, findet Ahmed. Und Valentin wird philosophisch: „Wir schiessen ja nur im übertragenen Sinne. Wir haben keine Waffe in der Hand. Zudem ist das Singen auch eine Waffe. Die Texte von Eminem können genauso verletzend sein wie ein Schuss in dem Arm“.

Von der Polizei bis Bourbaki
Im UG war einmal der Schiesskeller der Stadtpolizei eingerichtet, bevor er – nur durch eine Betonwand getrennt – in den Bunker nebenan zügelte. Um die Ecke des UG befindet sich ein Waffengeschäft, wo auch schon ein Mord passierte. Oder die Waffenmessen auf der Allmend. Das Knabenschiessen in Zürich, wo die Begeisterung für das Schiessen zu einem Zeitpunkt geweckt wird, „da die Grenzen zwischen Spielzeug und Waffe noch nicht klar zu ziehen sind“ (Stefan Kaegi).
Solche Facts waren Ausgangspunkt der Regiearbeit, die zu grossen Teilen auch eine Recherchierarbeit war. Gemeinsam mit den Buben ging man in den Schiesskeller der Stadtpolizei und beobachtete sie beim Training. Dort konnten alle einmal selber einen Schuss aus der Pistole abgeben. Oder man spielte Krieg beim Paint-Ball-Schiessen im verschneiten Wald. Auch die Bourbaki-Geschichte wurde ausführlich studiert. 70 000 Schusswaffen gab die französische Armee ab, damit sie Asyl bekam.

Eigenwillige Regiearbeit
Die Methode des deutschen Regieteams ist so eigenwillig wie spannend. Bei ihren Projekten gehen sie immer von vorgefundenem Material aus. „Wir betrachten die fünf Jungs nicht als Laienschauspieler. Wir haben auch nichts Pädagogisches im Sinn mit ihnen. Für uns sind sie Spezialisten. Sie haben eine extrem andere Körperlichkeit als Schauspieler und noch keine fixen Vorstellungen vom Rollenspielen“, sagen die Regieverantwortlichen.
Die Buben erzählten in der Vorbereitungsphase von sich, beschrieben ihr Zuhause, ihre Träume, brachten ihre Welt ein, ihre Hobbys, ihre Musik, was sie bewegt. Die Schiessausflüge wurden gefilmt. Dazu kam das recherchierte Material. So entstanden die Ideen und Motive und wurden die Szenen entwickelt. „Wir haben vieles von dem, was von den Jungs kam, aufgegriffen, verstärkt, es in Form gebracht und auf der Bühne organisiert“, erklärt Helgard Haug die Arbeitsweise.
In einem Casting wurden die fünf Buben „ähnlich wie beim Zusammenstellen eine Boygroup“ ausgewählt: Die Kombination musste stimmen. Zur zwei kannten sich zuvor. „Inzwischen sind die fünf zu einer fest zusammengeschweissten Gruppe geworden. Seit sechs Wochen proben sie fast jeden Tag. Dazu kommt die ganz Schule. Es ist eine höchst respektable Leistung“, sagt Olaf Kröck, neuer Dramaturg im UG (siehe Kasten).

Ohne Eltern fortgehen
Ahmed und Valentin haben schon in der Schule Theater gespielt und erfahren, dass sie gerne auf der Bühne stehen. „Ich fand, es sei eine schöne Abwechslung in meiner Jugend“, hält Ahmed lakonisch fest. Thomas sah in der Ausschreibung, dass das Stück auch in Berlin und Norwegen gespielt wird. „Also sagte ich mir: Warum nicht einmal ohne Eltern fortgehen?“, grinst er. Zudem sei sein bester Freund Valentin auch dabei. Da wollte er nicht fehlen.
Als Mitgleid der Luzerner Singknaben kennt auch Adrian die Bühne. „Das Theaterspielen macht dich selbstsicherer. Man kann nachher besser auftreten und hat weniger Hemmungen.“ Auch Diego ist überzeugt, dass Theaterspielen „sicher sehr viel bringt für mein späteres Leben.“ Cool meint er: „Als ich gehört habe, dass das Projekt eine grössere Kiste ist und vom Luzerner Theater initiiert wurde, hat es mich sofort interessiert.“ 


Projekte

Shooting Bourbaki