Kairos Klangteppich, eingerollt

"Radio Muezzin" berichtet auf fesselnde Weise vom Alltag und von der Zukunft dreier Kairoer Gebetsrufer.

Von UTE BAUMHACKL

29.09.2009 / Kleine Zeitung, Graz

Allahu akbar! Drei Muezzine loben ihren Gott; die drei Männerstimmen, die hier einmal mit-, einmal gegeneinander klingen, erzählen auch von Kairo: 30.000 Moscheen hat die ägyptische Metropole, 30.000 Muezzine rufen sechs Mal täglich zum Gebet. Zuviele, findet der Minister für religiöse Angelegenheiten; nächstens Jahr soll der vielstimmige Gebetsruf zentralisiert werden, dann werden 30 auserwählte Ausrufer gleichzeitig in alle Moscheen der Stadt übertragen. Drei von denen, die verstummen werden, stehen auf der Bühne des Orpheums und erzählen von sich und ihrem Alltag.
"Radio Muezzin" heißt dieses Stück Reality-Theater. Jeder Mensch ist ein Experte seiner eigenen Existenz. Daraus baut das Theaterkollektiv "Rimini Protokoll" dokumentarische Bühnenstücke, in denen es in den letzten Jahren etwa Nachrichtenleute, Marx-Exegeten, Fernfahrer, brasilianische Polizisten und indische Call-Center-Mitarbeiter auf die Bühne stellte.
Und ganz ungeachtet dessen, woher die Protagonisten stammen, haftet ihren Geschichten vom echten Leben nebst großer Ernsthaftigkeit auch immer eine kuriose Exotik an: So nahe kommt man den Menschen auf der Bühne sonst nicht.
Auch "Radio Muezzin" von Regisseur Stefan Kaegi fesselt durch Alltagsbeschreibungen auf einer Bühne, die wie ein karg möblierter Gebetsraum wirkt - ein roter Moscheeteppich, Sitzgelegenheiten, grüne Leuchten. Auf vier Videowänden begleiten private Bilder und Kairoer Straßenszenen die Erzählungen der Muezzine.
Bewusste Auslassungen
Das szenische Geschehen zeigt eine Koranprüfung, eine Pantomime ritueller Waschungen, man hört Koransuren, sieht, wie per Kurzschluss eine Essiggurke abgefackelt wird, dazwischen wird Staub gesaugt. Auch Hausmeisterarbeiten zählen zu den Aufgaben eines Muezzins.
Dann erklärt ein Radio-Ingenieur, wie die Live-Übertragung der Radio-Muezzine funktionieren soll. Ein vierter Muezzin, Vizeweltmeister im Koranrezitieren, ist nach Spannungen mit dem Rest der Gruppe nur noch per Video dabei. Er ist einer der 30 auserwählten Gebetsrufer.
Warum er ging, wird nicht erklärt; auch sonst weist der Abend bewusst gesetzte und dabei durchaus aufschlussreiche Auslassungen auf. Politik etwa kommt in "Radio Muezzin" nicht vor. Präsent ist sie doch: Angeblich dient die Vereinheitlichung des Gebetsrufs inoffiziell dem Zweck, politische Betätigung in den Moscheen zu unterbinden. Und auf der Bühne sind keine Gebete zu hören: Das wäre ungebührlich, erklärt Muezzin Mansour Namous.
Überhaupt erscheint die Mitwirkung der drei Muezzine fast wie eine Art religiöser Dienst. Und ist es wohl auch in gewisser Hinsicht: Über den Islam, der von manchen ja fast schon als reine Aggressionsform medialisiert wird, lernt man in den knapp anderthalb Stunden jedenfalls eine ganze Menge. Und wird dabei auch noch hervorragend unterhalten.

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