Helden der Warenlager

GESPRÄCH mit dem Schweizer Regisseur Stefan Kaegi im Rahmen der Aufführung „Cargo Sofia-Zagreb“

Von Visnja Rogosic

13.09.2006 / Vjesnik vecernje izdanje

Das dokumentarische Abenteuer mit dem Namen „Cargo Sofia-Zagreb“ begann mit der Begrüßung der bulgarischen Lastwagenfahrer Ventislav Borisov und Svetoslav Micev. Das Konzept der Vorstellung erdachte Stefan Kaegi.

Die Vorführung fand am 11. und 12. September im Rahmen des Zagreber Urban Festival mit einem kleinen Publikum in einem Lastwagen statt. Parkplätze, Marktplätze und Tankstellen der Vorstadt wurden hier zur Bühne.

Der schweizer Regisseur und Gründer der deutschen Gruppe Rimini Protokoll Stefan Kaegi ist bekannt für sein aus dem wahren Leben gegriffenes Theater und sein geringes Interesse an der Arbeit mit professionellen Schauspielern. So auch in seinem neuesten Projekt, in dem die Geschichte von zwei echten Lastwagenfahrern mit langjähriger Erfahrung erzählt wird, die uns in eine fiktionale zweiwöchige Fahrt von Sofia nach Zagreb führen, über Warenlager, Grenzübergänge und Autobahnrastplätze.

Auf ihrer Europatour hat die Vorführung „Cargo Sofia“ dieses Jahr verschiedene Ziele- von Berlin, dem Festival in Avignon, über Warschau und Zagreb bis zum Belgrader Bitefa. Den Mitreisenden- seinen Zuschauern und uns verrät der junge Regisseur Stefan Kaegi im Gespräch mit Vjesnik, dass die „ganze Welt eine Bühne ist“.

Dokumentarisches Theater

Wie würden Sie ihre Art von Theater benennen?

- Am häufigsten benutze ich den Begriff dokumentarisches Theater. So ist es am einfachsten den Leuten zu erklären warum sie im Theater sich selbst sehen.

Im Theater wird man immer gefragt, warum man nicht mit Schauspielern arbeitet. Im Dokumentarfilm ist das kein Thema. Dieser arbeitet natürlich mit den Personen und Materialien, die er findet und die eine Geschichte haben, ohne zeigen zu wollen wie gut sie tanzen oder singen können um andere zu beeindrucken.

Was Möchten Sie mit dem Stück zeigen?

 

- Ich will zeigen wer die Leute sind, und nicht was sie zu tun im Stande sind. Ich möchte zeigen wer die Person ist, die WC-Papier durch ganz Europa fährt, oder wer der Mensch ist, der Fisch liefert und wie dieser Europa sieht. Ständig wird er an der Grenze aufgehalten, immerfort reist er, empfängt ein bulgarisches Gehalt für eine Arbeit, die er in Deutschland und Frankreich ausführt.

Denken Sie, dass die Fahrer als Arbeitskraft ausgenutzt werden?

- Die meisten bulgarischen Fahrer, die für westliche Firmen arbeiten, werden ausgenutzt indem sie mit bulgarischen Gehältern ein Dreivierteljahr in Ländern leben, in denen sowohl Gehälter, als auch Lebenshaltungskosten höher sind. In diesem Sinne sprechen wir von einer typischen Globalisierungssausbeute, aber das ist nicht die einzige Geschichte über diese Lastwagenfahrer. Sie sind stolz auf so einiges, lieben ihre Arbeit, lieben die Fahrt, lieben es Dinge zurückzulassen und nie anzuhalten.

Globalisierungserzählung der Lastwagenfahrer


Wie sehr werden Sie als „Regisseur“ von den Mitwirkenden, dem Publikum oder dem Raum beeinflusst?

- Das hängt ab. „Cargo Sofia“ unterscheidet sich von Stadt zu Stadt und beginnt mit meiner Suche nach Orten. Der nächste Schritt ist Leute zu finden, die Teilnehmen möchten als Personal auf dem Gemüsemarkt oder dem Warenlager. Sie behandeln dich manchmal wie einen Käufer oder sind skeptisch. Ich genieße wirklich den Wandel den wir im Umgang mit unterschiedlichsten Leuten durchleben. Ihr Anblick ändert auch die Zuschauer, die in Zagreb leben, lässt sie sich fremd fühlen.

In den Fußstapfen von Joseph Beuys, wie kann sich der Wandel der Zuschauer mit ihrer Arbeit in Verbindung bringen?

- Manche Arbeiten von Rimini Protokoll ähneln sehr der sozialistischen Skulptur, wie beispielsweise die Vorstellung „Deutschland 2“, in der wir Politiker des Bundestages kopiert haben. Aber von dieser Vorstellung erwarten manche, dass man sie als architektonischen Vorschlag oder Kinofilm betrachten kann.

Was empfinden Sie als erfolgreich an ihrem Theater?

- Von mir aus können Sie im Lastwagen sitzen, weil sie gerne das Gefühl haben im Kino zu sitzen oder die Musik mögen oder das Konzept des Straßenfilms, aber das wichtigste ist, dass das Publikum begreift, dass sich etwas Einzigartiges ereignet, das nur sie heute Abend erleben, und das morgige Publikum nicht.

In der Einbahnstraße

Wie würden Sie sich mit der Realität im traditionellen Theater befassen- mit echten Schauspielern und einer echten Bühne?

- Im Theater muss man sich mit der 3000 Jahre alten Theatergeschichte auseinandersetzen, die ich für eine Art Einbahnstraße halte. Das Problem liegt darin, dass die meisten Schauspielschulen sich noch immer auf Fragen der Profession fokussieren. Die Kunstschulen sind schon in den 70ern durch diesen Prozess gelaufen, mit Joseph Beuys und der Bewegung Fluxus, welche behauptet, dass nicht Fähigkeiten und Talent, sondern Wissen, Wahrnehmung und Konzeptualisation, und das Nachdenken vor dem Handeln ausschlaggebend sind. Das traditionelle Theater hat diesen Schritt noch nicht begriffen. In diesem Sinne ist es noch nicht Kunst solange es sich auf das Betrachten eines Genies auf der Bühne fokussiert, das auf geniale Weise vorgibt jemand Anderer zu sein. Wir gebrauchen im wahren Leben ein referentielles Theatersystem. Sie werden mir sicher zustimmen, dass Ihre Kleiderauswahl heute einen Teil der Rolle darstellt, die Sie spielen.


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