Heimat, fremde Heimat

THEATER Eine diplomatische Meisterleistung: die Dokumentartheaterperformance "Schwarzenbergplatz" von Rimini Protokoll im Kasino.

Von Wolfgang Kralicek

09.12.2004 / Falter (Nr. 50)


Die Welt ist alles, was der Fall ist. Theater ist alles, was auf der Bühne ist. Auch wenn dort ausnahmsweise "echte" Menschen anstelle von Schauspielern agieren, werden diese auf wundersame Weise zu Darstellern. Zauberei? Nein, nur Regie: In den Themenabenden, die das deutsch-schweizerische Team Rimini Protokoll (Helgard Haug, Stefan Kaegi, Daniel Wetzel) mit "Spezialisten" statt Schauspielern inszeniert, wird die Wirklichkeit in eine theatrale Form gebracht. Ein knappes Jahr nach der Sterbe-Performance "Deadline" (Falter 5/04) sind Rimini Protokoll wieder in der Stadt. Im Auftrag des Burgtheaters haben sie unter dem nahe liegenden Titel "Schwarzenbergplatz" ein Stück zu dem vom Theater eher vernachlässigten Thema Diplomatie erarbeitet. Auf der schlicht gestalteten Bühne stehen neun Damen und Herren, die vom Thema direkt oder indirekt betroffen sind:

Martin Thelen vom Auswärtigen Amt, dessen Urgroßvater Burgschauspieler war, steckt auf einer Weltkarte Fähnchen in Städte mit österreichischen Botschaften (in Neuseeland gibt es keine, auf Malta keinen Dienstwagen). Horst Fischer, geheimniskrämerischer Botschaftssekretär, veranschaulicht die gewaltigen Dimensionen des S-Klasse-Mercedes, mit dem er früher als Chauffeur unterwegs war ("Drinnen war ich exterritorial"). Brigitte Hörbinger, die 32 Jahre mit einem Generalkonsul verheiratet war, beschreibt die Abendkleider, die sie sich an den verschiedenen Orten ihrer diplomatischen Laufbahn hat schneidern lassen ("elegant für Österreich"). Wolfgang Wolte, langjähriger Botschafter in Peking, erzählt vom heikelsten Moment seiner Mission: Bei der Eishockey-WM der Gruppe C 1981 in Peking trafen China und Österreich aufeinander. (Diplomatischerweise sind dann beide in die Gruppe B aufgestiegen.)

Ulrike Zimmel von der Firma Fahnen Christl referiert über Flaggen ("hier haben wir Oberösterreich oder Polen"). Major Thomas Mader vom Bundesheer erklärt den Ablauf von Staatsbesuchen aus Sicht der Garde (Wahlspruch: "Ehre und Pflicht") und berichtet von einem Einsatz an der ungarischen Grenze, als seine Einheit im Winter eine Gruppe zum Teil barfüßiger Flüchtlinge aufgriff. Willfried Kovárnik, Leiter der Fremdenpolizei, verrät den internen Spitznamen für die kleinen Bäumchen bei Staatsempfängen ("Jubelkraut") und die raffinierte Konstruktion von Absperrungen: "Je mehr Demonstranten auf den Tretgittern stehen, desto stabiler sind sie." Die Gesangsstudentin Ying Xie singt ein Lied und erzählt auf Chinesisch ihre Geschichte: "Solange ich singe, kann ich hier bleiben."

Auf eine Leinwand werden Fotos und diplomatische Begriffe projiziert, aus einem kleinen Lautsprecher kommen Geräusche oder leise Musik ("True" von Spandau Ballet), einmal werden die Flaggen von einer Windmaschine zum Wehen gebracht: Mehr Effekte hat die Inszenierung nicht zu bieten. Die Kunst von Rimini Protokoll ist fast unsichtbar. Das scheinbar so trockene Material wird scheinbar eins zu eins präsentiert; doch nach und nach wird deutlich, dass der hundertminütige Abend nach einer subtilen Struktur aufgebaut ist, in der dann zum Beispiel auch Platz für einen "Sisi"-Dialog (Romy Schneider in chinesischer Synchronisation!) ist.

"Schwarzenbergplatz" funktioniert wie ein guter Dokumentarfilm: Man gewinnt überraschende Einblicke in fremde Welten. Der Unterschied ist, dass die Akteure hier nicht nur sie selbst, sondern zugleich auch Kunstfiguren in einer Inszenierung sind, die sie selbst mitgestaltet haben. Das Ergebnis sieht Theater täuschend ähnlich. Vielleicht ist ja doch Zauberei im Spiel.


"Falter" Nr. 50/04 vom 09.12.2004 Seite: 69, Ressort: Kultur


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