Von Petra Rathmanner
06.10.2005 / Wiener Zeitung
Wiener Zeitung: In Ihrem neuen Stück "Mnemopark" bildet eine 37 Meter lange Modelleisenbahn die Schweizer Alpen ab. Diese Spielwiese verzwirbeln Sie mit indischen Bollywood-Filmen und Fakten aus der Schweizer Agrarwirtschaft. Wie kam es dazu?
Stefan Kaegi: Mich hat vor allem die Konstruktion von Landschaft interessiert. Wer mit dem Zug durch die Schweiz fährt, gewinnt den Eindruck, als wäre das eine Panoramafahrt durch eine Filmlandschaft. Diese extrem verdichtete Form von Natürlichkeit mutet aber auch irgendwie künstlich an. Mit Hilfe des Schweizer Modelleisenbahnvereins zeigen wir eine Geschichte der Schweizer Landschaft - samt Schönmalerei und einigen Pannen.
Welche Pannen?
Etwa die landwirtschaftliche Überproduktion, die Fleischberge. Die Schweiz investiert fünfmal so viel in die Landwirtschaft wie etwa in Kultur. Tendenziell hat jeder Schweizer - auch ich - das Gefühl, das sei richtig, weil man sich emotional mit der Natur und den Almen verbunden fühlt. Recherchiert man genauer, wird schnell klar, dass ökologische Landwirtschaft eine Utopie ist.
Was hat das mit den indischen Bollywood-Filmen zu tun?
Es gibt im Schweizer Tourismus ein neues Phänomen: Indische Touristen reisen vermehrt in die Berge, um die Drehorte ihrer Lieblings-Bollywood-Filme zu besuchen.
Ihre Theaterarbeiten mit den Künstlergruppen "Hygiene Heute" und "Rimini-Protokoll" basieren stets auf akribischer Recherche. Das Besondere daran: Nicht Schauspieler, sondern theaterfremde Experten stehen auf der Bühne. Wie verhält es sich bei Ihrem Solo-Projekt?
Auch dieses Stück ist sehr dokumentarisch und die Performer sind Mitglieder des Schweizer Modelleisenbahnvereins. Es wird aber insgesamt theatralischer als etwa mit den Diplomaten in "Schwarzenbergplatz".
Ihre Form des Theaters wird gern mit einem Dokumentarfilm verglichen.
Es wundert mich sehr, dass im Theater, anders als beim Film, immer nur Fiktion hergestellt wird. Mich interessiert einfach die Wirklichkeit mehr als das, was sich irgendein Schriftsteller ausgedacht hat.
Wie würden Sie Ihre Arbeitsweise beschreiben?
Wir beginnen die Arbeit an einem Stück nicht im Proberaum, sondern nähern uns mit dokumentarischen Verfahren einem Thema an. Wir versuchen, etwas rauszukriegen, zu sortieren und mit anderem Material zu montieren, so entwickeln wir das Stück. Verglichen mit einem Dokumentarfilm vermitteln unsere Theaterabende natürlich eine ganz andere Direktheit. Der entscheidende Punkt ist aber, dass die Experten bei uns nicht abgefilmt werden und dann ist Schluss, sondern sie stehen Abend für Abend auf der Bühne. Dadurch haben sie viel mehr Mitsprache als beim Film und lassen sich ganz anders auf dieses Spiel mit der Verzerrung der Wirklichkeit ein.
Sie bringen Fragestellungen aus dem Alltag ins Theater. Das Spektrum reicht dabei vom Sterben ("Deadline") über die Massenkündigungen bei der Fluggesellschaft Sabena ("Sabenation") bis hin zur hohen Diplomatie ("Schwarzenbergplatz") oder Globalisierung ("Call Cutta").
Uns interessiert die Theatralität des Alltags. Wir wollen die Wirklichkeit nicht abbilden, nicht dramatisieren, sondern auf die Bühne holen und ausprobieren, was passiert. Wir wollen ein Theater ohne Theater machen, das nichts mit Handwerk oder Schauspielkunst zu tun hat.
Machen Sie politisches Theater?
Oft ist der Ansatz gar nicht explizit politisch gemeint, aber durch die Fragestellungen wird das Ergebnis meistens doch wieder politisch. Es geht uns um die Mechanismen, wie etwas in dieser sehr zeichenhaft gewordenen Welt funktioniert. Diese Mechanismen hinterfragen wir und machen sie öffentlich. Das kann manchmal schon sehr skurril sein.