Ende des Bail-outs

Von Manuel Ebert

29.06.2017 / derFreitag

Ausstellung In einem neuen Museum in Kalifornien wird der Kapitalismus beerdigt. Die Macher fragen: Wie wird man sich eines Tages an das System erinnern?

Ein Artikel über die Eröffungsausstellung des Museum of Capitalism in Oakland, bei der Rimini Protokoll eingeladen wurde eine Installation zu dem Projekt "Hauptversammlung" zu machen.

18. Juni – 20. August 2017
55 Harrison St, Suite 201
Oakland, CA 94607

"The Museum of Capitalism opens its inaugural exhibition with a series of multimedia exhibits created by a diverse network of artists, scholars, and ordinary citizens, exploring the historical phenomenon of capitalism and its intersections with themes like race, class, and environment in the United States."

 

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Ein Wolkenmosaik schießt aus dem Boden hervor und wächst, bis es in der Höhe in weißen Nebelschwaden verschwindet. Lediglich die dünnen, rechteckigen Nähte im Mosaik verraten die Illusion des Büroturms aus Glas und Stahl. Architektur aus einer Ära, in der Gebäude als Kapitalanlagen statt als Wohn- und Arbeitsräume konstruiert wurden. Heutzutage schmeckt sie so fad und utilitaristisch wie ein betongrauer Sowjetbunker.

Die Älteren unter uns haben den Kapitalismus noch in lebendiger Erinnerung. Doch für eine jüngere Generation, die nach den scheinbar endlosen Zyklen von Finanzkrisen, Bail-outs und internationaler Destabilisierung in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts aufgewachsen ist, ist Kapitalismus kaum mehr als ein abstraktes historisches Irrkonstrukt, das Mittelstüfler in Sozialkunde pauken müssen.

Das neu eröffnete Museum of Capitalism in Oakland konserviert das Andenken an eine Zeit, die viele lieber vergessen würden. Der Standort könnte besser nicht gewählt sein. Jenseits der Eisenbahnschienen liegt die urbane Entwicklungszone Jack London Square. Zwischen alten Werften und Segelbooten, die wie Perlenketten um die langen, hölzernen Piers herum aufgeschnürt sind, führt eine unscheinbare Treppe in das Museum.

Wer Geschichte schreibt

Jack London Square ist selbst ein fehlgeschlagenes kapitalistisches Experiment. Wo sich Entwickler und Investoren belebte Einkaufsstraßen und hippe Seafood-Restaurants vorstellten, gab es lange hauptsächlich verschlossene Türen, leere Hallen und die sterbenden Träume eines Hafenviertels, das sich neu erfinden wollte.

Die Kuratoren Andrea Steves und Timothy Furstnau sagen zur Philosophie des Museums: „Viele Spuren des Kapitalismus verschwinden mit der Zeit, oder sie sind der Öffentlichkeit schlicht nicht bekannt oder zugänglich. Unser Ziel ist es, diese vielen Einblicke zu verbinden und zu integrieren, bevor die Spuren für immer vergessen werden.“ Ausstellungsstücke von über 60 Künstlerinnen und Künstlern beleuchten deshalb nun die Strukturen und Auswirkungen des Kapitalismus. „Es ist uns heutzutage unmöglich, ihre Geldform zu verstehen“, ist ein Werk des Duos Sayler / Morris überschrieben, das die komplizierte Geschichte von Kaliforniens Wasserversorgung seit dem Goldrausch 1948 untersucht. „Geld selbst war ein Gebrauchsartikel. Man konnte Geld kaufen.“

Andere Exponate sind subtiler. Ein paar Bestellformulare für Zahnkronen, mit Goldspray und Plastikdiamanten dekoriert, reflektieren leise eine kulturelle Praxis schwarzer Amerikaner an der Westküste. Die Künstlerin Sadie Barnette kommentiert ihr Werk so: „Goldzähne sagen: Ich bin mehr wert, als diese Gesellschaft es mir glaubhaft machen will.“

Obwohl das Museum den Kapitalismus mit seiner Anziehungskraft und seinen Kosten als globales Phänomen versteht, ist allein schon die wohldurchdachte Sonderausstellung zum US-System einen Besuch wert. Zwischen aufschlussreichen Artefakten einer vergangenen Welt findet man dort skurrile Reliquien wie den Pokal, mit dem das amerikanische Finanzministerium 2008 seine Dankbarkeit gegenüber den Banken ausdrückte, die ein paar Millionen Dollar zum Bail-out beigeschossen hatten.

Neben den Zeitzeugnissen der Opfer des Kapitalismus gibt es aber auch solche des aktiven Widerstands. Auf Dutzenden Bildschirmen flimmern Interviews mit Ökonomen, Anarchisten, Sozialisten und Unternehmern, die zu der Vision einer postkapitalistischen Gesellschaft beigetragen haben. An anderer Stelle ist eine Dokumentation des Berliner Autoren-Regie-Teams Rimini Protokoll zu sehen: Sie zeigt, wie die Gruppe 2009 die Hauptversammlung der Daimler AG zur Theaterbühne erklärte.

Werke wie dieses tragen zur surrealen Atmosphäre und Ambiguität der Ausstellung bei. Denn jenseits des konkreten Sujets stellt sich auch die Frage nach der Rolle von Museen generell: Wer hat das Recht, Geschichte zu schreiben? Die Parallelen zum Apartheid-Museum in Johannesburg und zu dem frei von Selbstironie über einem McDonald’s errichteten Kommunismus-Museum in Prag sind offensichtlich und beabsichtigt. Der Unterschied ist, dass sowohl die Apartheid in Südafrika als auch der Kommunismus in der Tschechoslowakei einen klar bestimmbaren Todeszeitpunkt hatten. Obwohl die Nachrufe auf den Kapitalismus gern zur Formulierung „nach langer Krankheit von uns geschieden“ greifen, wälzt sich das System beharrlich auf dem Sterbebett. So ist die Ausstellung also mehr als futuristische Retrospektive zu verstehen, das Museum an sich als Kunstform. Das macht es aber nicht zu einem fiktiven Werk. „Die Fiktion des Kapitalismus ist und war immer da draußen“, sagt Furstnau. „Wir führen hier lediglich eine historische Reinszenierung auf.“

Der US-Marxist Fredric Jameson sagte angeblich einmal, dass es leichter wäre, sich das Ende der Welt vorzustellen, als das Ende des Kapitalismus. Bis zum Ende der Ausstellung im August versucht das Museum genau das zu tun. Der Eintritt ist frei und kostet den Besucher lediglich die willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit.


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