Doppel Deutschland

Von Florian Malzacher

22.06.2002 / Frankfurter Rundschau Magazin


Das Volk vertritt seine Volksvertreter - und zwar nächsten Donnerstag. Dann mimen 666 Bürger in dem Theaterprojekt "Deutschland 2" die 666 Abgeordneten des Bundestags. Zeitgleich zur Sitzung der echten Politiker in Berlin sollen sie in Bonn die Reden ihrer Paten wie Simultandolmetscher wiedergeben. Das MAGAZIN hat schon mal vorab gefragt: Wer vertritt wen und warum? Infos zu dem Projekt unter www.deutschland2.info



PROTOKOLLE: FLORIAN MALZACHER FOTOS DIRK GEBHARDT

INFOS zu dem Projekt unter www.deutschland2.info


Hajo Zarbock ist Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen)


Ich bin, wie der Joschka Fischer, ein 68er - das heißt, wir haben nicht nur einige biografische Gemeinsamkeiten, sondern stimmen auch überein in den wesentlichen Grundüberzeugungen und Vorlieben wie Joggen oder Toskana. Auch vom Äußeren her hab ich etwas Ähnlichkeit mit ihm, aber das ist natürlich nebensächlich. Ich bewundere ihn. Denn ich bin Lehrer, und da muss man den Schülern auch hin und wieder sagen können, wer wirkliche Vorbilder sind. Und was der Mann aus sich gemacht hat, trotz seiner schlechten schulischen Ausbildung, das ist schon bewundernswert!



Und auch seine Fähigkeit zum Wandel finde ich überzeugend: Wie er aus einer ursprünglich pazifistischen Haltung heraus erkannt hat, dass das so einfach nicht geht in der Welt, wie beim Völkermord in Jugoslawien.



Ich selbst habe mich in einer ähnlichen Weise gewandelt: Ich war erst zwei Jahre lang strammer Soldat, und dann bin ich zurückgekommen und hab' gesagt: "Nein! Waffen lösen die Probleme nicht." Und habe dann als Lehrer, durch die Schule und die eigenen Kinder eine andere Auffassung von Konfliktbewältigung bekommen.



Das Entscheidende an Joschka ist jedenfalls, dass er keiner dieser Schauspieler ist. Anders als offensichtlich einige andere, wie man ja neulich im Bundesrat gesehen hat. Dem Joschka nimmt man das ab, was er sagt. Was kann dabei überzeugender sein als seine in Falten gelegte Stirn und sein verkniffenes Gesicht? Und seine Popularitätskurve spricht doch für sich.



Persönlich hab ich ihn leider nie getroffen. Ich wohnte früher in einem Studentenheim, da war auch der Scharping später drin und der Rudi Dutschke - aber der Joschka war da nicht dabei.


Dirk Reder ist Michael Glos (CSU)



(Bild: Dirk Reder (Historiker, 36 Jahre))

Ich wäre am 27. Juni gerne der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Michael Glos, weil ich seine Partei einfach besonders unangenehm finde. Tatsächlich habe ich gar nicht so viel gegen ihn als Person, als vielmehr gegen seine Rolle als Speerspitze Bayerns und seiner Partei. Denn was die CSU sagt, finde ich immer wieder erschreckend, ob es nun um Menschenrechte, Umweltschutz oder ihr wirklich rückständiges Frauenbild geht. Auch wenn Herr Stoiber aufgrund der Empfehlungen seines Wahlkampfbüros sich jetzt sehr gemäßigt gibt, wäre ein CSU-Kanzler auf jeden Fall ein ziemlicher Ruck nach rechts.



Dabei muss ich sagen, dass Glos selbst für mich sogar einen positiven Aspekt hat: Er ist nämlich als selbstständiger Unternehmer in der Politik eine Ausnahme zwischen all den Juristen und vor allem den Beamten. Wer selbst Unternehmer ist, der hat zumindest Kontakt zur Realität.



Wichtiger als die Frage, wen ich darstellen werde, ist mir allerdings die Motivation, an dem Theaterprojekt teilzunehmen. Denn es geht dabei überhaupt nicht um eine Persiflage: Alle Beteiligten haben sich schon bei den Proben mit großem Ernst an ihre Sache gemacht und jeder versucht, seinen Politiker überzeugend wiederzugeben. Und durch diese Verfremdung sieht man den Bundestag plötzlich mit ganz anderen Augen, er ist viel näher, viel menschlicher, viel interessanter.



Uns kann ja keiner erzählen, dass die wichtigen Entscheidungen wirklich im Bundestag getroffen werden und nicht hinter verschlossenen Türen. Das Parlament ist doch weit gehend zur Showbühne für den Wahlkampf geworden. Mit so einem Theaterprojekt erobern sich die Bürger ihren Bundestag zurück. Und das kann der Demokratie doch eigentlich nur gut tun.



Marlies Schimmelpfennig ist Margot von Renesse (SPD)



(Bild: Marlies Schimmelpfennig (pensionierte katholische Religionslehrerin, 64 Jahre))



Ich wäre am 27. Juni gerne Frau von Renesse von der SPD, weil mir das Thema Stammzellenforschung sehr am Herzen liegt - und da hat sie sich ja sehr engagiert. Ich habe sie bei einem Diskussionsabend des Thomas-Morus-Kreises, einer katholischen Gesprächsrunde in Bonn, kennen gelernt, und mir haben die Ausführungen von ihr am besten gefallen. Was mich besonders beeindruckt hat, ist, wie sie mit ihren Diskussionspartnern umgegangen ist: Also, mit welcher Toleranz, die man so unter Politikern eigentlich nicht kennt. Das ist ja auch in der Parlamentsdebatte zur Stammzellenforschung zum Ausdruck gekommen. Das lief auf einem Niveau, das man sonst von den Bundestagsdebatten nicht kennt.



Ich halte es für sehr wichtig, dass die Stammzellen-Forschung hier in Deutschland geschieht. Hier hat man das doch besser unter Kontrolle, wenn junge Paare einen Kinderwunsch haben, den sie nur mit Hilfe der Präimplantationsdiagnostik realisieren können. Sonst wird da ein Tourismus entstehen nach Belgien oder Spanien, und da haben wir dann keinen Einfluss drauf. Insgesamt glaube ich, dass die derzeitige Politikverdrossenheit unseren Staat gefährdet. Denn jede Wahlenthaltung ist ja eine Nein-Stimme für unsere politische Grundordnung. Dazu tragen aber auch die Berufspolitiker selbst bei,wenn ihre politischen Aussagen nur noch als Reklame empfunden und nicht mehr geglaubt werden. Die Politiker müssen sich mehr um die Bürger kümmern - nicht nur alle vier Jahre. Allerdings müssen sich aber die Bürger auch für die Gestaltung der Gesellschaft mit verantwortlich fühlen.



Stefan Laetsch ist Dr. Helmut Kohl (CDU)



(Bild: Stefan Laetsch (Politologie-Student, 21 Jahre))



Ich bewundere den ehemaligen Bundeskanzler wegen seines Engagements für ein einheitliches und friedliches Europa und bin der festen Überzeugung, dass Helmut Kohl viel für Deutschland getan hat und ein guter und erfolgreicher Kanzler war. Leider ist durch die Spendenaffäre sein Ansehen stark gesunken, und er hat es nicht leicht, als Ex-Kanzler gewürdigt zu werden. Immerhin war Helmut Kohl mit 16 Jahren bisher am längsten im Amt!



Meine Entscheidung für ihn ist gar nicht mal aus parteipolitischen Gründen zustande gekommen, sondern einfach weil ich der Meinung bin, dass er unbedingt zur Geschichte der Bundesrepublik dazugehört. Und auch wenn andere Persönlichkeiten wie Gorbatschow und die friedlichen Protestaktionen der Bevölkerung in der DDR dazu beitrugen, dass es zur Wiedervereinigung kam, so war immer noch Helmut Kohl zu der Zeit Bundeskanzler.



Lilo Fischer ist Angela Merkel (CDU)



(Bild: Lilo Fischer (Hausfrau, 52 Jahre))



Am 27. Juni werde ich Angela Merkel doubeln, die ich farblos und langweilig finde - vielleicht könnte ich ihr ein etwas frischeres Image verleihen. Im Erscheinungsbild wäre da einiges verbesserungswürdig, das betrifft gar nicht einzelne Punkte, sondern die ganze Art ihres Auftretens. Aber auch im Inhaltlichen habe ich mit ihren Aussagen große Probleme, soweit ich das aus den Medien beurteilen kann. Ich habe von Bekannten, die in der Politik arbeiten und die mit ihr hin und wieder mal Kontakt hatten, gehört, dass sie im privaten Gespräch sehr angenehm und fachlich gut sei. Da ich sie eben nur aus den Medien kenne, hinterlässt sie bei mir - leider - einen durchaus negativen Eindruck: fade und langweilig.



Ihre Stellungnahmen sind selten konkret und bei inhaltlichen Diskussionen werden immer nur so Wischi-Waschi-Antworten gegeben, die einfach nicht fassbar sind. Was vielleicht auch Kalkül ist, denn wenn ich eine klare Antwort gebe, muss ich mich an der ja auch messen lassen. Das betrifft natürlich auch andere - aber bei Frau Merkel fällt mir das schon extrem auf.



Ich habe ihre Interviews zum 11. September im Fernsehen gesehen und war entsetzt. So dumme Statements! Dann schweige ich doch besser, wenn mir nichts als Worthülsen einfällt!



Bei einer der Proben für das Projekt "Deutschland 2" fiel es mir fast wie Schuppen von den Augen: Wir doubelten eine familienpolitische Debatte. Das war so erschreckend für mich: Die Hohlheit der Argumente der Abgeordneten, die in den einzelnen Redebeiträgen kamen, das ist mir früher nie so klar geworden! Sagenhaft, dieses Aneinanderreihen von Stereotypen, von richtigen Redestanzen: Ich schnappe mir im Computer Baustein 24, aus Baustein 25 kommt der nächste Satz und dann bau ich mir aus diesen ganzen Steinen eine Rede zusammen. Den Eindruck macht es immer mehr. Leider.



Frank Schwalm ist Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen)



(Bild: Frank Schwalm (Historiker, 34 Jahre))



Christian Ströbele ist einer der letzten Politiker, die noch ein Rückgrat haben. Von ihm weiß man, was man erwarten kann. Wenn er spricht, hört man, dass er zu seinem Wort steht. Außerdem steht er meiner persönlichen Meinung sehr nah.



Besonders deutlich wurde das bei den Debatten um deutsche Militäreinsätze im Kosovo und in Afghanistan. Als einer von wenigen Abgeordneten hat er sich kritisch zum Besuch von George Bush geäußert. Auch im Spendenausschuss hat er eine klare Linie vertreten und keinen falschen Respekt vor Kohl gehabt.



Ströbele habe ich als Student einmal persönlich kennen gelernt, als ich beim Fernsehsender Phoenix gejobbt habe. Ich habe damals die Studiogäste betreut. Ströbele war zum Thema "Heißer Herbst 1977" eingeladen, weil er ja die RAF als Verteidiger vertreten hat. Anders als mancher Regierungspolitiker damals, war Ströbele überhaupt nicht abgehoben, sehr freundlich und bescheiden. Und er kam nicht mit einem Chauffeur, sondern zu Fuß vom Bahnhof.



Dass er nun keinen sicheren Listenplatz für den Bundestag mehr bekommen hat, finde ich bedauerlich. Ich weiß noch nicht, ob ich die Grünen noch mal wählen möchte.



Andrea Suda ist Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD)



(Bild: Andrea Suda (Politologie-Studentin, 24 Jahre))



Im Rahmen eines Politologie-Seminars waren wir im Januar in ihrem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Bonn. Da hat Frau Wieczorek-Zeul uns eine dreiviertel Stunde einen Vortrag gehalten.



Leider gab es danach nur ganz kurz Gelegenheit, Fragen zu stellen und mit ihr zu reden - es war schon zu merken, dass sie unter Zeitdruck stand. Während ihres Vortrags kam ein Mitarbeiter in den Raum und schob ihr einen Zettel zu. Den las sie dann später, während sie gleichzeitig unseren Fragen zuhörte und Antworten gab. Ich mochte ihre souveräne und zugleich lockere Ausstrahlung, besonders ihren Enthusiasmus in Bezug auf das entwicklungspolitische Ziel der UNO, die weltweite extreme Armut bis 2015 zu halbieren. Ihr Ministerium hat dafür ein Aktionsprogramm ins Leben gerufen.



Das Feld Entwicklungspolitik interessiert mich jedenfalls sehr, vor allem seit ich einige Seminare bei dem erwähnten Dozenten besucht habe. Ich bin im Nebenjob tätig bei der humanitären Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen", da gibt es einige Überschneidungen. Ich könnte mir auch durchaus vorstellen, später in diesem Bereich hauptberuflich zu arbeiten.



Einen besonders persönlichen Bezug habe ich zu dem Land Äthiopien. Es hat damit angefangen, daß ich einem äthiopischen Mädchen, das allein nach Deutschland kam, Nachhilfe gegeben habe. Durch sie habe ich auch meinen äthiopischen Freund kennen gelernt, mit dem ich nun seit zweieinhalb Jahren zusammen bin.



Christoph Küpper ist Guido Westerwelle (FDP)



(Bild: Christoph Küpper (Bankangestellter, 23 Jahre))



Ich schätze Guido Wetserwelle nicht nur als Mensch persönlich sehr, sondern auch weil er mich unter anderem vor fünf Jahren mit Vorträgen und Diskussionsrunden in die Politik und in die FDP gelockt hat. Und man kann ja keinen Menschen wertschätzen, wenn man sich nicht irgendwo grün ist.



Ich hatte in meiner Anfangszeit in der FDP einige Male das Glück, ihn auf Veranstaltungen zu treffen, bei Jazz-Konzerten in Bonn, im Haus der Geschichte, bei Podiumsdiskussionen. Da wirkte er auf mich immer professionell und glaubwürdig - er ist einer der wenigen jungen, dynamischen Politiker für mich. Man sieht sonst im Fernsehen ja immer nur die etwas älteren, gesetzteren Politiker, die, na ja man kann sagen: die durch ihre jahrzehntelange politische Arbeit nicht mehr so euphorisch und engagiert auf einen wirken wie Jüngere.



Mir macht die Politik in der FDP deshalb so viel Spass, weil hier mehrere Generationen zusammenarbeiten. Wir haben die Generation Genscher, Möllemann und Westerwelle. Alle ergänzen sich irgendwie. Und immer wieder rücken neue junge Menschen nach, die die anderen ergänzen. Westerwelle ist also ein Zeichen dafür, dass auch junge Menschen politisch etwas bewegen können. Dabei sollte man sich nicht verbiegen lassen und nicht seine Ziele aus den Augen verlieren. Die FDP ist die einzige Partei, wo die jüngere Generation in der ersten Reihe sitzt.


Projekte

Deutschland 2 (Theater)