Die Vertreter vertreten

Theaterprojekt „Deutschland2“: Bürger stellen eine Berliner Bundestagssitzung im Bonner Plenarsaal nach

Von Christiane Große-Thie

22.02.2002 / Bonner Rundschau


Bonn. Wer kennt schon Steffi Lemke. Sie steht auf der 669 Namen langen Liste der Mitglieder des deutschen Bundestages irgendwo zwischen A wie Adam, Ulrich (CDU) und Z wie Zumkley, Peter (SPD). Die 32-jährige Diplom-Landwirtin aus Dessau sitzt für die Grünen im Bundestag. Das weiß der junge Online-Berater aus Bonn seit fünf Minuten. Jetzt steht er an einem Podest mit der Aufschrift „Deutschland2“, lächelt in die Videokamera und sagt: „Ich würde gerne Steffi Lemke sein. Weil die aus dem Osten kommt, von den Grünen ist und weil die aussieht, wie eine Frisöse.“

Wer Steffi Lemke ist, das hat der Online-Berater zuvor an den Aushängen im „Alten Malersaal“ in Bonn gelesen. Mit Bild und Kurzbiographie hängen hier alle 669 Bundestagsmitglieder an der Wand. In der Mitte des Raumes steht ein Rednerpult mit Wasserglas, ein paar Schritte weiter eine Videoanlage, Kopfhörer, Bildschirme. „Deutschland2“ heißt das Theaterprojekt, für das ein Team vom Kölner „Theater der Welt“ zurzeit Darsteller sucht. Die Idee: Bürger doubeln ihre Volksvertreter, vom Bundeskanzler bis zum Hinterbänkler. Am Mittwochabend kamen rund 70 Bonner zum Vorsprechen.

„Es war im Herbst“, erzählt Helgard Haug vom Regieteam. „Wir standen im Bonner Plenarsaal und waren fasziniert.“ Fasziniert davon, dass hier jederzeit die Arbeit wieder aufgenommen werden könnte. Fasziniert davon, dass das politische Herz der Bundesrepublik gleich zweimal vorhanden ist. Voll funktionsfähig, in Bonn und Berlin. Die 32-jährige und ihre Regie-Kollegen Bernd Ernst, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel fanden, dass man „daraus was machen sollte“. Und kamen auf die Idee „Deutschland2“ zu inszenieren.

Am 27. Juni soll das Projekt starten: Im Berliner Reichstag debattieren dann die Bundestagsmitglieder zu einem bislang unbekannten Thema. Im Bonner Bundestag führen dann Bürger, um Sekundenbruchteile zeitversetzt, die gleiche Debatte. „Sie Idee ist, dass die Volksvertreter vom Volk vertreten werden“, erklärt Daniel Wetzel. Über den Kopfhörer hören die Darsteller die Berliner Debatte. Sie tun zeitversetzt das, was auch ihre Volksvertreter gerade tun: Eine Rede halten, klatschen, Buh- oder Zwischenrufen, Zeitunglesen, den Saal verlassen.

Ein 81-jähriger Rentner zeigt Mut und meldet sich beim Casting freiwillig als Wolfgang Thierse. Nun steht er da am Präsidiumstisch und lauscht in den Kopfhörer. „Äh ja, die Sitzung ist eröffnet. Ich darf um...ei, ei, ei...spricht der schnell“, übersetzt er (fast) simultan. Und fügt noch schnell hinzu, dass er ja eher dem rechten Lager angehört, aber der Thierse, der gefällt ihm auch. Der Hinweis des Regieteams, er solle nur nachsprechen, was Herr Thierse sagt, beantwortet er mit Adenauer: „Nicht so pingelig, meine Herren!“

Verselbständigungen wie diese gehören zum Gesamtkunstwerk. Ebenso wie die zeitgleiche Übertragung der Dopperldebatte im Fernsehen. Außerdem soll eine zweite Ausgabe von Kürschners Volkshandbuch „Deutscher Bundestag“ erscheinen. Mit Bild und Kurzbiographie aller 669 Darsteller. Darin wird sich auch der Online-Berater wieder finden. Als Steffi Lemke. Und vielleicht wird er aussehen wie eine Frisöse.

„Theater der Welt“ sucht weiter nach Darstellern. Die nächsten Proben/ Castings werden voraussichtlich Anfang März stattfinden. Die Termine sind unter Telefon (0221) 51090922 zu erfragen.



www.theaterderwelt.de


Projekte

Deutschland 2 (Theater)