Die Beine breit, die Augen schmal

Das Stück "Shooting Bourbaki - Ein Knabenschießen" lässt pubertierende Jungs von Helden und Waffen erzählen

Von Sylvia Staude

09.02.2002 / Frankfurter Rundschau


Er heißt B-Real und erzählt "Soldier Stories" im Internet. Erzählt, wie er und seine Kumpels am 5. Februar in der Cobo Arena in Detroit eine Riesen-Knarre rauszogen und die Undercover-Cops ausflippten. Dann aber Ruhe gaben, weil man ihnen sagte, die Knarre sei nicht echt: "hehehe". Wie später zwei weibliche (!) ansehnliche (!!) Bullen (!!!) in die Garderobe kamen; die "Hühner" wollten dabei sein bei der Super-Party, die nach dem Konzert abging.
Die HipHopper von "Cypress Hill", deren Songs zum Beispiel Killafornia, Cock a Hammer oder How I could just kill a man heißen, stellen solche "Soldaten-Geschichten" auf ihre Homepage: Jedes Konzert ein Kampf. Und eine Beschwörung des Mythos, dass zu einem richtigen Mann eine Waffe gehört, am besten zusätzlich zur E-Gitarre.
Und zu richtigen Jungs? Das Regie-Trio Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel hat recherchiert, mit welchen Droh-, Angriffs- und Verteidigungsgesten pubertierende Knaben sich abgrenzen, zu welchen Waffen sie greifen bei ihren Computer- und anderen Spielen, wie sie ihr Zimmer schmücken, welche Musik sie mögen: Cypress Hill, klar, und Gothic-Rock von Marilyn Manson.
Ein gut einstündiges Stück ist so entstanden, in Zusammenarbeit mit fünf 13- bis 15-jährigen Schweizern namens Valentin Erni, Thomas Hostettler, Diego Krauss, Ahmed Mehdi und Adrian Seitz. Das Stück ist derzeit im Mousonturm zu Gast, und es heißt Shooting Bourbaki - Ein Knabenschießen. In Luzern, wo Ende Januar im Stadttheater auch die Premiere war, gibt es im Museum das sogenannte Bourbaki-Panorama, ein Rundgemälde, das einen historischen Augenblick festhält: Der französische General Bourbaki ging 1871, im deutsch-französischen Krieg, mit Mann und Maus und 70 000 Gewehren über die Schweizer Grenze - er und seine 87 000 Soldaten suchten quasi Asyl. Das wurde ihnen gewährt, allerdings musste die französische Regierung den Aufenthalt später bezahlen. Sonst hätte man die Waffen behalten.
Soweit eine der Geschichten, die in Shooting Bourbaki erzählt wird. Wie schon in ihrem Stück Kreuzworträtsel Boxenstopp, das in Zusammenarbeit mit alten Damen entstand und deren Erfahrungen mit dem Alt- und Langsamsein reflektierte, haben sich Haug / Kaegi / Wetzel auch dem neuen Thema mehr als Sammler denn als Jäger genähert. Gefunden haben sie Kuriositäten wie Einkaufstüten der Firma "Wichser Waffen" (die wirklich so heißt) und gut Traditionelles wie das "Zürcher Knabenschießen" (das wirklich so heißt), ein Volksfest mit Wett-Schießen. Sie zitieren aus Anleitungs- und Werbevideos von Schützenverbänden, in denen der Abzug mit einer Zitrone verglichen wird, drehten aber auch selbst mit ihren fünf Darstellern in einem Schießkeller oder im verschneiten Wald, wo die Jungs mit klammen Fingern Paintball spielten.
Manchmal stolpern die mit großem Einsatz agierenden Adrian, Valentin, Ahmed, Diego, Thomas über ihren Text, manchmal entstehen Pausen, manchmal kommt es zu kleinen ungeplanten Rangeleien sprachlicher oder körperlicher Natur. Authentizität ist eines der Stichwörter, mit dem man sich dem Theater von Haug / Kaegi / Wetzel nähern kann, aber den dreien geht es auch darum, erst gar nicht eine Situation entstehen zu lassen, in der Schauspieler etwas verkörpern und vorgeben - und damit eine Oberfläche aufbauen, auf der der Sinngehalt des Stückes liegt wie auf Trägerfolie. Die Anmutung von Shooting Bourbaki ist vielmehr: Die Tür zum Kinderzimmer steht weit offen, mal posen die Jungs die Erwachsenen, mal zelebrieren sie fast selbstvergessen ihre Rituale.
Das Thema wird hier - vor einem Foto-Panorama mächtiger Schweizer Berge - gleichzeitig eingekreist und nach vielen Seiten geöffnet. Ein Mosaik entsteht, das an den Rändern ausfranst und nie fertig, nie abgeschlossen ist. Der deutsch-französische Krieg passt da ebenso rein wie amerikanische HipHopper, absurde martialische Dialoge aus Star Wars wie auch gelbe Plastiktüten. Die offene Form von Shooting Bourbaki bot sich vermutlich geradezu an, um von fünf Jungs zu erzählen, die auf der Suche sind nach sich selbst und ihrer Position in der Gesellschaft. Eine Position, die bisweilen so aussieht: Die Beine breit, die Augen schmal, die Hand an der Waffe. Wie Helden eben.
Termine: noch heute, Samstag, und nochmal vom 14. bis 16. Februar, jeweils 21 Uhr, auf der Studiobühne des Mousonturms, Waldschmidtstraße 4. Karten-Tel. 069 / 40 58 95 20.


Projekte

Shooting Bourbaki