Die Attraktivität des Belanglosen

Der Triennale-Beitrag des Künstlertrios Haug/Droß/Wetzel macht Privates öffentlich

Von Philipp Ziegler

01.08.1998 / Esslinger Zeitung

Esslingen – Ein Blick aus dem Fenster – damit wurde in der Neuzeit metaphorisch die Aufgabe der Kunst verglichen. Erst im letzten Jahrhundert befreite sich die Malerei vom Zwang der Naturnachahmung und überließ das Feld der Fotografie.
Der Beitrag des Künstlertrios Helgard Haug, Marcus Droß und Daniel Wetzel zur Esslinger Foto-Triennale in der Villa Merkel bietet dem Betrachter jenen Blick aus diesem Fenster gleich fünfzigfach. Doch gemach: Enttäuschung ist konzeptionell eingeplant. Statt attraktiver Motive werden uns nur Hinterhöfe, Dachlandschaften und Hauswände präsentiert. Mit einem Wort, der Blick geht ins Belanglose – und gewinnt. Denn gerade gerade durch Serialität und Beliebigkeit der Motive befreien sich die Gedanken vom Gegenstand – Fotografie wird zur Handlung.
Die fotografischen Ansichten aus fünfzig Esslinger Fenstern mit dem Titel „Bekanntenkreis“ resultieren aus einer „Aufführung“ des Künstlertrios im Vorfeld der Foto-Triennale: Ausgehend von der Villa Merkel ließen sich die drei Ortsfremden, ausgerüstet mit einer Wegskizze und einer kurzen Botschaft auf Tonband, von Wohnung zu Wohnung empfehlen. Sie überreichten jeweils das Tonband, fotografierten aus einem Fenster der empfohlenen Wohnung und ließen sich anschließend zu einem weiteren „Bekannten“ komplimentieren.
Diese Handlung wurde an jeder Station wiederholt. So ergab sich ein Parcours von über fünfzig Etappen durch die Esslinger Innenstadt, der anhand einer Karte sowie der Beschilderung an den besuchten Gebäude nachvollzogen werden kann. In der Lichthof-Galerie der Villa Merkel kulminiert die Aktion in einer Installation von fünfzig Diabetrachtern, die am Galerie-Geländer montiert sind. Sie heben den zeitlichen Ablauf der urbanen Recherchen auf und überführen ihn in eine Gleichzeitigkeit archivarischer Präsenz.
Auf diese Weise inszenieren die drei unter dem Label „Ungunstraum“ arbeitenden Künstler eine in die Nähe eines Theaterstücks gerückte Performance, die vor Ort und basierend auf den Erkenntnissen bereits realisierter Aufführungen entwickelt wurde. In der Wiederholung ein und desselben Vorgangs konstituiert sich ein völlig neuer Bekanntenkreis, wobei sich fünfzig Perspektiven der Stadt Esslingen manifestieren, die das Verhältnis „öffentlich/privat“ umkehren. Doch nicht allein die an der Aktion unmittelbar Beteiligten profitieren von der Performance.
Mit ihrer ungewöhnlichen Präsentationsform in der Villa Merkel wird man auch als Besucher der Ausstellung angeregt, über sein urbanes Beziehungssystem neu nachzudenken.


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Etappe Bekanntenkreis
Ungunstraum - Alles zu seiner Zeit