Der Wallenstein der Christdemokraten

Das Festival im Jubiläumsjahr konnte mit geringen Abstrichen überzeugen.

Von Jürgen Berger

14.07.2005 / Kölner Stadtanzeiger

„Vorsicht Freiheit“ hat die Mannheimer Dramaturgie die Schillertage im Jubiläumsjahr überschrieben. Das ist insofern geschickt, als Schillers zentrales Motiv zum Motto erhoben und all das unter einen Hut gepackt wurde, was es während des zehntägigen Festivals bis hin zu den Chill-Out-Nächten rund um das Nationaltheater zu sehen gab. Diese Schillertage, die am Sonntag zu Ende gingen, konnten mit geringen Abstrichen überzeugen.

Den Abstrich gab es zum Auftakt mit Thomas Langhoffs Inszenierung des „Wilhelm Tell“. Man setzte auf große Namen, bekam im Gegenzug aber nur gepflegte Routine. Markus John (Schauspiel Köln) ist als Gaststar lediglich ein etwas mürrischer Tell und die Auflehnung der Eidgenossen gegen die Habsburger alles in allem eine müde Veranstaltung. Was bleibt, ist die Frage, warum Langhoff den „Tell“ auf die Bühne bringen wollte.

Im Falle von Rimini Protokoll sieht das ganz anders aus. Die Baumeister sozialer Skulpturen im theatralen Raum gehen bei ihrer für die Schillertage produzierten „Wallenstein“-Erkundung einen eigenen Weg. Helgard Haug und Daniel Wetzel forschten vor Ort und entwickelten ihre Fragestellungen aus dem Klassiker, um Ergebnisse wieder auf den Klassiker anzuwenden. Es geht um die Frage, ob sich Motive des dramatischen Gedichts in heutigen Biografien wiederfinden. Mannheims Wallenstein heißt Sven-Joachim Otto, war aussichtsreicher CDU-Stadtparlamentarier und einer jener Kommunalpolitiker, die keine populistische Lächerlichkeit scheuen. Umso frappierender ist, wie sich der inzwischen von der eigenen Partei demontierte und in Mannheim heftig attackierte ehemalige OB-Kandidat auf der Bühne verhält: entspannt und mit wohltuender Distanz zum Inszenierungscharakter seiner Wahlkampfauftritte. Rimini Protokoll bringen eine ganze Reihe spannender Zeitgenossen auf die Bühne und locken das Theater auf Pfade, auf denen im Sinne Schillers jüngste Geschichte reflektiert wird.

Auf den Spuren von Rimini Protokoll wandeln die „Lunatics“, die sich einem untergegangenen Text des Klassikers widmen. „Die Polizey“ ist ein Dramenentwurf, den Schiller parallel zum „Wallenstein“ schrieb. Die etwas mehr als zehnseitige Materialsammlung beschäftigt sich mit der urbanen Struktur von Paris und der inneren Struktur der Polizei. Die „Lunatics“ sind raffiniert und machen aus den Zuschauern kriminalistische Praktikanten, die zur Spurensicherung mit Einsatzfahrzeugen der Polizei bis in Randgebiete der Stadt kutschiert werden. Den Text gibt es per Sprechfunk. Eine von Schillers Ideen - „Die Offizianten und selbst der Chef der Polizei müssen zum Teil auch als Privatpersonen und als Menschen in die Handlung verwickelt sein“ - wird umgesetzt, indem die Praktikanten auf die Fährte eines in einen Mordfall verwickelten Kommissars gesetzt werden. Auch in diesem Fall zeigt das Mannheimer Festival, wie frisch Schiller heute sein kann.

 


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