"Da gibt es diesen Hang zur Nicht-Unterhaltung"

Die freie Gruppe Rimini-Protokoll - das sind Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel - wollen die Aktionärsversammlung der Daimler-Benz AG, die heute im Berliner Kongresszentrum stattfindet, als theatralische Inszenierung erfahrbar machen.

Von Armin Friedl

08.04.2009 / Stuttgarter Nachrichten

Heute besucht die Theatergruppe Rimini Protokoll mit etwa 150 Theatergängern die Daimler-Hauptversammlung in Berlin.

Frau Haug, wie bringen Sie die Interessierten in die Hauptversammlung?

Wir wollten möglichst vielen Zugang zu der Hauptversammlung gewähren, die dies sonst nicht können, weil sie nicht Aktionäre sind. Es sind Theatergänger, die die Veranstaltung aus der Theaterperspektive erleben. Wir von Rimini Protokoll haben selbst Aktien gekauft, und wir haben Aktionäre gesucht, die uns ihre Einladungen überschreiben, weil sie selbst dort nicht hingehen. So übernehmen also unsere Theatergänger deren Vertretung. Das sind so um die 150 Interessierte. Sie gehen wie die anderen Aktionäre in die Veranstaltung, erleben diesen Tag aber aus einem anderen Blickwinkel.

Waren Wirtschafts- oder Börsenkenntnisse Voraussetzung für die Teilnahme?

Wir starten mit der Behauptung, dass die gesamte Veranstaltung ein Theaterstück, eine Inszenierung ist. Dazu gibt es ein Programmbuch wie bei jedem Theaterstück mit einem Besetzungszettel, denn der Gastgeber ist ja das Berliner Hebbel-Theater. Am Montag gab es eine Infoveranstaltung. Da haben wir unser Konzept vorgestellt und Experten eingeladen, die juristisch und inhaltlich mit Hauptversammlungen zu tun haben.

Sind Aktionen geplant?

Wir von Rimini Protokoll werden dies nicht tun. Uns geht es ums Beobachten auf die Dauer eines Tages hin, von der Öffnung morgens um acht Uhr an über die Reden und der Entlastung des Vorstands bis in den Abend hinein. Aber unsere Gäste können natürlich als Aktionärsvertreter Fragen stellen. Wobei erfahrungsgemäß Bemerkungen außerhalb der Tagesordnung schnell abgekürzt werden. Es macht aus unserer Sicht da wenig Sinn, sich zu produzieren.

Ist Ihr Besuch auch eine Recherche für ein neues Stück?

Nein, wir interessieren uns grundsätzlich für den theatralischen Aspekt von Hauptversammlungen, haben deshalb in den vergangenen Jahren schon mehrere besucht. Es interessiert uns, wie ein Konzern versucht, auf Tuchfühlung mit den Aktionären zu gehen, und was bei dieser Begegnung passiert. Da gibt es diesen Hang zur Nicht-Unterhaltung. Auch der Daimler-Konzern will diese Veranstaltung möglichst sachlich über die Bühne bringen, doch gleichzeitig kann man sehr viel zwischen den Zeilen lesen, wenn man sich entsprechend vorbereitet hat. Deshalb ist das Programmheft sehr umfangreich. Für uns ist das eine mögliche Form des Theatermachens, sich auf bereits vorhandene Inszenierungen draufzusetzen, diese zu umschreiben oder einen anderen Titel zu geben. Es ist ja prinzipiell unser Anliegen, den Begriff des Theaters auf andere Räume anzuwenden. Das erfordert aktive Zuschauer, und die gibt es auch. So reisen unsere Gäste indivduell zum Kongresszentrum. So bleibt es spannend, wer der Sitznachbar ist: Kommt er vom Theater, oder ist er ein normaler Aktionär?

Als die Hauptversammlung noch in Stuttgart stattfand, war das Büfett ein großes Thema. Ist das in Berlin auch so?

Das ist bei allen Hauptversammlungen so, die Naturaldividende ist ein großes Thema. Die Leute haben das Gefühl, sie können sich am Büfett etwas abholen, was sie mit ihrer Dividende nicht bekommen haben. Und es ist ein anderes Kommunikationszentrum. Es gibt ja einen Michelin der Hauptversammlungen. Es sagt was über das Unternehmen, ob es Kartoffelsalat mit Würstchen oder Kaviar und Shrimps gibt.

Weiß das Unternehmen von dieser Aktion?

Ja, nach unserer Annonce wurde Kontakt mit uns aufgenommen. Es gibt eine friedliche Koexistenz: Sie wissen davon, können aber genauso wenig wie wir einschätzen, wie sich unsere Besucher in das Geschehen einmischen. Sie waren uns sehr hilfreich beim Zusammenstellen der Informationen. Uns interessiert auch der logistische Aufwand, der bei etwa 9000 Menschen erforderlich ist. Dazu gehört auch das Bemühen, im Vorfeld die Absichten der verschiedensten Interessengruppen einzuschätzen und Strategien zu entwickeln. Spannend ist, dass trotz aller Vorbereitungen nie alles glatt läuft.

Haben Sie mit Ihren Aktien Gewinn erzielt?

Ich habe Verluste gemacht, die anderen haben auf einem Tiefstand aufgekauft. Das müssen wir aussitzen, verkaufen macht gerade keinen Sinn. Wir wollten das Gefühl haben, einen Teil von einem Konzern zu haben, gerade angesichts des absurden Verhältnisses zur Gesamtzahl der Aktien.


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