Auftragskiller

Kleist reloaded: "Hermann`s Battle" von Rimini Protokoll im HAU

Von Christine Wahl

16.11.2011 / Der Tagesspiegel

„Die Hermannsschlacht“, erklärt Karl-Christoph von Stünzner-Karbe, sei „alter Krieg“. Der in Mecklenburg- Vorpommern geborene Bundeswehr- Oberst a. D. entschied sich für eine Militärkarriere, weil in seiner Familie „jeder entweder Landwirt oder Soldat wurde“. Infolge der Aktion „Junkerland in Bauernhand“ aus seiner Heimat geflüchtet, kehrte er nach dem Mauerfall zurück und half bei der Eingliederung der „Nationalen Volksarmee“ der DDR in die Bundeswehr.
Jetzt steht Stünzner-Karbe in „Herrmann’s Battle“, der neuen Produktion des Dokumentartheaterkollektivs Rimini Protokoll, auf der
Bühne und zitiert mit Hingabe Kleist: „Der Plan ist einfach und begreift sich leicht.
“ Was man mitnichten von allen Perspektiven behaupten kann, die Helgard Haug und Daniel Wetzel im Kleistjahr 2011 auf „Die Hermannsschlacht“ werfen. Denn wie schon in den Auseinandersetzungen mit Schillers „Wallenstein“ vor sechs oder Karl Marx’ „Kapital“ vor fünf Jahren, ist auch Rimini Protokolls Kleist-Übermalung mit sogenannten „Experten des Alltags“ von erfreulicher Komplexität. Nach seiner Uraufführung im Kleist-Forum Frankfurt an der Oder vor knapp vier Wochen ist „Hermann’s Battle“ jetzt im koproduzierenden Berliner HAU angekommen.
Rimini Protokoll hinterfragt auf der Grundlage des vielfach im deutschnationalen Sinne vereinnahmten Kleist-Dramas über die Schlacht der Römer gegen die Germanen im Teutoburger Wald, inwiefern sich Waffen und Strategien der Kriegsführung verändert haben und welche strukturellen Muster von Patriotismus oder Anstachelungsrhetorik im Gegenzug geblieben sind. „Hermann agiert realpolitisch“, charakterisiert der Kleist- Biograf Rudolf Loch den Cheruskerfürsten im Programmheft, „alle zweckdienlichen Mittel sind ihm heilig.“

Neben Stünzner-Karbe hält vor allem Remzija Suljic, die das Programmheft als „mutige Frau aus Srebrenica“ vorstellt, dem Kleist-Text ihre eigenen, höchst realen Kriegserfahrungen entgegen – während der „Hardware Reverse Engineer“ Nathan Fain die zeitgemäße Variante der Kriegsführung via Internet ins Spiel bringt. Neben idealen Verschlüsselungstechniken klärt der englischsprachige T-Shirt-Träger über die Internetwährung „Bitcoin“ auf, mit der man im Netz Auftragskiller bestellen und auf den Todeszeitpunkt öffentlicher Personen wetten kann.
Peter Glaser, Veteran des Chaos Computer Clubs, weiß zwar Aufschlussreiches über das Einhacken in Rechnersysteme nebst Spurenverwischung zu berichten, bindet das Geschehen aber vor allem an den Kleist-Text zurück, den er gewitzt kommentiert: Er ist aus seiner Spandauer Wohnung zugeschaltet, unweit des ehemaligen Kriegsverbrechergefängnisses. Die jüngste Expertin schließlich, die „Facebook-(Counter-)Revolutionärin“ Barbara Bishay, wirft Schlaglichter auf die Ereignisse in Kairo, die sie zunächst via Facebook von Berlin aus begleitete, bevor sie selbst ins Zentrum des Aufstandes, zu ihrer Familie, reiste und sich zunehmend Zweifel in die Euphorie mischten.
Diese Differenz zwischen Innen- und Außenperspektive ist ein gutes Beispiel dafür, wie es Rimini Protokoll einmal mehr gelingt, durch die Konfrontation unterschiedlicher Blickwinkel universelle Strukturen, aber auch historische Unterschiede herauszuarbeiten. Auch wenn die thematische Setzung – Krieg und Propaganda – von vornherein enger gewählt ist als etwa bei „Wallenstein“ oder dem „Kapital“. Was die rein szenische Komponente betrifft, bleibt der Abend – dem Sujet durchaus angemessen – vergleichsweise statuarisch.
Der theatrale Aktionismus hängt fast allein am „Eisenkumpel und Strommusiker“ Rummelsnuff, der Kleist mit adäquaten Gesängen und Muskelshirt zur kurzen Lederhose vergegenwärtigt. Auch die „Experten des Alltags“ wirken diesmal sperriger als sonst, scheuer. Interessanterweise ist das für diesen dichten, konzentrierten Abend aber überhaupt nicht von Nachteil. Im Gegenteil: Es fördert das genaue Hinhören. Und das lohnt sich.
Weitere Aufführungen tgl. bis 18. 11., 20 Uhr, im HAU 2
 


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