Aktionäre sind Schauspieler wider Willen

Die Performancekünstler von Rimini-Protokoll haben gestern die Berliner Daimler-Versammlung in eine Inszenierung verwandelt

Von Nina Peters

09.04.2009 / Stuttgarter Zeitung online

Die Aktion begann mit einer Zeitungsanzeige. Die Performancegruppe Rimini-Protokoll suchte nach Aktionären der Daimler AG, die ihnen Eintrittskarten und damit Rede- und Stimmrecht für die Hauptversammlung am 8. April 2009 übertragen würden. Rund 150 "Theaterkarten" hat die Gruppe für ihre Produktion organisiert, die gestern innerhalb der Hauptversammlung in der Berliner Messe stattfand. "Daimler Hauptversammlung - Ein Schauspiel in fünf Akten" heißt das Stück im Programmbuch der drei Performer mit dem ungewöhnlichen Namen.

Rimini-Protokoll: das sind Stefan Kaegi, Helgard Haug und Daniel Wetzel. Sie sind die Vorreiter eines ganz besonderen Dokumentartheaters, denn sie beziehen Laien, sogenannte Experten des Alltags, in ihre Arbeit mit ein. Nun aber hat das Trio erstmals die Regie delegiert und sich der Inszenierung von Daimler Investors Relations bedient - und wieder einmal stellt sich Rimini-Protokoll an die Spitze einer neuen theatralischen Bewegung, wieder einmal kreiert das Team ein neues Genre des politischen Theaters: das "parasitäre Theater".

Mitarbeiter der Daimler AG lasen die Anzeige und wurden unruhig. Angesichts der Finanzkrise und des erwachenden Widerstands gegen kapitalistische Global Players befürchtete man in Stuttgart Schlimmstes. Wie denn, um ein Beispiel zu nennen, die Theatermacher garantieren könnten, dass keine Terroristen Zugang bekämen zur Hauptversammlung, das fragten sich die Damen und Herren der Investors Relations Daimler AG. Letztendlich aber konnte der Konzern die Performance nicht verhindern, die Theaterbesucher kamen ja als Aktionäre - und Daimler legte noch Eintrittskarten drauf.

Zwei Tage vor der Hauptversammlung impfte Rimini-Protokoll dem Publikum wichtige Grundkenntnisse ein und teilte ein Programmbuch mit reflektierenden Texten aus. Während der Hauptversammlung selbst schließlich gab es im Foyer Nischengespräche mit Experten oder eine "individuelle Vertonung der Daimler HV", die man per Mobiltelefon zwischendurch abrufen konnte. Da sang der Daimler-Chor etwa "Silence is golden", während die unerbittliche Tonübertragung der Hauptversammlung den Besucher bis auf die Toiletten verfolgte.

"Dies ist keine Theaterinszenierung", sagt Manfred Bischoff, der Aufsichtsratsvorsitzende, zum offiziellen Beginn der Daimler-Hauptversammlung, hinter sich die Vorstände und Aufsichtsräte des Konzerns, flankiert von zwei Modellen der E-Klasse. Natürlich ist diese Veranstaltung eine professionelle Performance mit dem Ziel, die Souveränität des Konzerns zu demonstrieren. Als der Boss vom Ganzen, Dieter Zetsche, angesichts eines penetranten Zwischenrufers, der kein Theaterbesucher ist, doch kurz ins Stottern gerät, wird freilich die Brüchigkeit dieser Performance deutlich.

Die Theaterwissenschaftlerin Brigitte Biehl-Missal diskutiert sowohl in ihrem Text fürs Programmbuch als auch in einem Nischengespräch den Unterschied zwischen Theaterkunst und den theatralen Aspekten der Inszenierung von Aktionärs-Hauptversammlungen: Während uns Theaterkunst sensibilisieren wolle für das "Fragwürdige und für Missstände, benutzten Manager bei ihren Auftritten klassische Theatermittel wie Bühne, Dekoration und Licht, um "Widersprüche und Fehler auszublenden".

Interessanter aber als die Tatsache, dass auch Daimler Investor Relations die Kunst der Inszenierung beherrscht, ist der politische Dialog, den Rimini-Protokoll anstößt. Die Truppe steckt ihre Theaterbesucher in die Rolle eines Aktionärs und ermöglicht einen Perspektivwechsel, der Diskussionen auslöst. Jürgen Grässlin von den Kritischen Aktionären fächert in seinem Nischengespräch detailliert das Rüstungsgeschäft des Konzerns auf. Und dann ist das Drama (laut Rimini-Protokoll) im 4. Akt angelangt, bei der Generalaussprache. Die Diskussion im Foyer schwappt zurück in den Saal, denn Grässlin tritt ans Rednerpult. Als Ergebnis der Gespräche mit den Theaterbesuchern schlägt er eine Schweigeminute für die Opfer von Daimler vor: "Daimler produziert Waffen, Daimler produziert Opfer. Wer dieser Opfer gedenken will, der stehe jetzt auf." Mehr als hundert Aktionäre sind gestern im Berliner Messezentrum diesem Aufruf gefolgt.


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