Unheimliches Tal / Uncanny Valley

Von Stefan Kaegi

Wir kennen Roboter vor allem als Arbeitsmaschinen, als effiziente und präzise Vollstrecker. In der deutschen Industrie sehen sie Menschen kaum ähnlich, um emotionale Verstrickungen auszuschließen. In Asien hingegen werden schon länger humanoide Roboter entwickelt, etwa für die Alterspflege oder als Sexpartner. Die äußerliche Ähnlichkeit zu Menschen soll hier die Akzeptanz der Maschine erleichtern. Sie weckt aber auch Misstrauen: Was ist Mensch, was Maschine? Diese unheimliche Ähnlichkeit nennen japanische Roboterforscher „Uncanny Valley“.

Für „Unheimliches Tal“ wird vom Schriftsteller und Stückeschreiber Thomas Melle ein animatronisches Double erstellt. Dieser Humanoide tritt anstelle des Autors auf und wirft Fragen auf:  Stehen Kopie und Original in einem Konkurrenzverhältnis zueinander oder helfen sie sich gegenseitig? Kommt das Original sich durch sein Double näher? Wer spricht und was ist sein Programm?

Thomas Melle beobachtet und Kaegi dokumentiert, wie Ingenieurinnen und Ingenieure aus Servomotoren und Silikon seinen Körper neu zusammensetzen und so programmieren, dass die Motoren sein Bewegungsrepertoire übernehmen. Durch Feinmechanik, Maske und Kostüm wird der humanoide Roboter zu einem Darsteller, dessen Mimik, Gestik und Sprache womöglich Empathie auslösen könnte – doch Empathie mit wem? Mit Melle selbst, der ja nicht mehr da ist, oder doch schon mit dem Roboter? Wer spricht im unheimlichen Tal?

Auf diese Weise wird die Maschine zur Projektionsfläche für eine Zukunft, in der das menschliche Original irgendwann nicht mehr auszumachen ist. Ein solcher Humanoide ist kein industrieller Arbeiter, sondern eine Bezugsperson, wie wir ihr womöglich selbst bald im Altersheim begegnen. Der Autor Thomas Melle wird bei Rimini Protokoll zum Schöpfer seines Ebenbildes. Er gibt die Kontrolle an einen Doppelgänger ab, der ihn verdrängt, über das wechselseitige Verhältnis reflektiert und dieses Nachdenken als vielfach gespaltenen Vorgang Abend für Abend wiederholbar macht.

TV report on RSI

Konzept  / Text / Regie: Stefan Kaegi

Text / Körper / Stimme: Thomas Melle
Ausstattung: Evi Bauer
Animatronik: Chiscreatures Filmeffects GmbH
Herstellung und Art Finish des Silikonkopfes / Koloration und Haare: Tommy Opatz
(2023) Herstellung und Art Finish des Silikonkopfes und Koloration: Ina Chochol; Haarstanzen: Susanna Lang; Montage-Systeme und Nachbesserung Animatronik: Jörg Steegmüller/Steegmüller Skulpturen
Dramaturgie: Martin Valdés-Stauber
Video Design: Mikko Gaestel
Musik: Nicolas Neecke
Produktionsleitung Rimini Protokoll / Touring: Monica Ferrari
Licht Design / Touring: Robert Läßig, Martin Schwemin, Lisa Eßwein
Sound- und Video Design / Touring: Jaromir Zezula, Nikolas Neecke, Manuela Schininá

 
Diese Rimini Protokoll Produktion ist eine Übernahme von den Münchner Kammerspielen. Entstanden in Koproduktion mit Berliner Festspiele - Immersion, donaufestival (Krems), Feodor Elutine (Moscow), FOG Triennale Milano Performing Arts (Milano), Temporada Alta - Festival de Tador de Catalunya (Girona), SPRING Utrecht

Aufführungsrechte: Rowohlt Theater Verlag, Reinbek bei Hamburg 

 

Französische Version in Koproduktion mit Théâtre Vidy-Lausanne, le lieu unique – Centre de Culture contemporaine de Nantes, Centre culturel suisse à Paris , la Villette, Les 2 Scènes, Scène nationale de Besançon within the framework of Lab e23