Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)

Von Stefan Kaegi

Wie kann es sein, dass Taiwan zu den 20 grössten Wirtschaftszonen und zu den lebendigsten Demokratien Asiens zählt, aber seine Regierung offiziell nicht nach Europa reisen darf?  
Was bedeutet diplomatische Anerkennung für eine Insel, die droht zwischen geopolitischen Machtblöcken in Ost und West zerrieben zu werden? Wie kann die subjektive Repräsentationsmaschine Theater zu einer Bühne der Weltpolitik werden?

Geologisch gesehen ist Taiwan Teil des „Pazifischen Feuerrings“, einer seismisch besonders aktiven Zone, in der riesige tektonische Platten aufeinandertreffen, und so kommt es hier immer wieder zu schweren Erdbeben. Ähnlich fragil steht es um die politische Stabilität auf der Insel. Auch sie droht zwischen Machtblöcken und Erschütterungen zerrieben zu werden.

1945 wurde Taiwan als „Republic of China“ eines der Gründungsmitglieder der Vereinten Nationen und ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Aber 1971 stellte Richard Nixon die Beziehungen der USA zum chinesischen Festland wieder her, und die „Republic of China“ musste die Vereinten Nationen verlassen. Seitdem kämpft Taiwan um seine diplomatische Anerkennung. Nur in einem Dutzend Ländern rund um den Erdball haben seine diplomatischen Vertretungen den Status einer Botschaft. Während Taiwan einerseits über zahlreiche internationale Freunde und Handelspartner verfügt, kann es sich keine Nation leisten, die Beziehungen zur Wirtschaftsmacht China abzubrechen, und so wird Taiwan weder von Deutschland noch sonst einem europäischen Land außer dem Vatikan diplomatisch anerkannt. Mit anderen Worten: Taiwan ist nur der sichtbarste Repräsentant eines globalen Dilemmas.

Im Theater sind wir es gewohnt, so zu tun, als ob. Hier lässt sich also eine Vertretung Taiwans auf der Bühne inszenieren? Welche Fahne, welche Hymne und welches Ritual passt in unsere Zeit?

In „Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)“ stehen drei taiwanesische DiplomatInnen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten auf der Bühne: David Wu hat seinem Land 37 Jahre lang in unterschiedlichsten diplomatischen Vertretungen gedient: In Südafrika etwa, als dort noch Apartheid galt, in Vietnam, als taiwanesische Unternehmer das Land als Investitionsstandort entdeckten und im zentralamerikanischen Belize, wo er ausnahmsweise die Nationalfahne hissen durfte, weil das kleine Land zu dem guten Dutzend Kleinstaaten gehört, die Taiwan offiziell anerkennen. 

Chiayo Kuo dagegen hat nie fürs auswärtige Amt Taiwans gearbeitet, weil sie mit ihrer Digital Diplomacy Association überzeugt ist, mit Bildern und online-posts die Menschen direkter auf informellem Weg erreichen zu können. Sie steht damit für die Softpower der NGOs – eine kreative Antwort auf die historisch gewachsene institutionelle Diplomatie - wie sie typisch ist für Taiwan. 

Debby Wang vermeidet es, öffentlich über Politik zu sprechen, um ihre Familie und deren Unternehmen zu schützen – sie steht mit ihrer Biographie für eine andere Form von internationalem Netzwerk. Die Musikerin hat ihr halbes Leben in westlichen Ländern verbracht, während das Unternehmen ihrer Eltern mit dem Export von Bubble-Tea-Zutaten einen Weltmarkt erschlossen und damit hunderte von privatwirtschaftlichen Aussenposten für Taiwan errichtet hat. 

Gemeinsam simulieren die drei Expert*innen mit viel Bildern und Musik auf der Bühne die Eröffnung einer in der realen Welt unmöglichen Botschaft  – geschützt durch die Freiheit der Kunst. So ensteht die mobile Stichprobe eines Landes, ein transformierbares Architekturmodell, das die drei Expertinnen als Miniaturfilmkulisse für ihre eigene und die Biographie ihres Landes nutzen. Das Publikum wird dabei zu Gästen und Mitwirkenden einer heiklen politischen Mission, in deren Zentrum nicht zuletzt das Verhältnis von Europa zu China steht. 
 
Konzept und Regie: Stefan Kaegi
Dramaturgie und Mitarbeit Regie: Szu-Ni Wen
Szenografie: Dominic Huber
Video: Mikko Gaestel
Musik: Polina Lapkovskaja (Pollyester), Debby Szu-Ya Wang, Heiko Tubbesing
Recherche Taiwan: Yinru Lo
Videodreh: Philip Lin
Licht: Pierre-Nicolas Moulin
Lighting managers: Pierre-Nicolas Moulin, Jean-Baptiste Boutte
Co-Dramaturgie: Caroline Barneaud
Mitarbeit Regie: Kim Crofts
Mitarbeit Szenographie: Matthieu Stephan (trainee)
Outside eyes: Aljoscha Begrich, Viviane Pavillon
Produktion Europa: Tristan Pannatier (Théâtre Vidy-Lausanne)
Produktion Taiwan: Chin Mu (NTCH)
 

Mit: Chiayo Kuo, Debby Szu-Ya Wang, David Chienkuo Wu  

 
Eine Produktion von Théâtre Vidy-Lausanne und dem National Theater & Concert Hall, Taipei in Koproduktion mit Rimini Apparat, Berliner Festspiele, Volkstheater Wien, Centro Dramático Nacional Madrid, Zürcher Theater Spektakel, Festival d’Automne à Paris, National Theatre Drama / Prague Crossroads Festival