Drei Fliegen mit einer Klappe. Eine Ausstellung

Von Haug / Kaegi / Wetzel

Sie gehen in ein Kaufhaus, um ein Bügelbrett zu kaufen. Beim Einscannen des Strichcodes wird eine öffentliche Ansage im ganzen Kaufhaus mit einer Beschreibung Ihres Einkaufs und der Angabe des entsprechenden Preises ausgelöst. Alles applaudiert. Unmittelbar danach gehen die
Verkäufer und Kunden wieder ihren gewöhnlichen Beschäftigungen nach. Nach einem kurzen Moment der Verwunderung packen Sie das Bügelbrett unter den Arm und gehen nach Hause. Sollte das passieren, hätten Sie vermutlich ein „détournement“ erlebt, einen kurzen Moment, in dem Ihre Wahrnehmung der Welt aus den Fugen geraten wäre.

Dieser inszenierte Eingriff in den Alltag ist Teil einer Ansammlung utopischer Ideen die in der Halle und auf der Galerie des Heidelberger Kunstvereins Theaterlabels installiert werden: dafür wurden die Handschriften von 80 Heidelberger Bürgern „ausgeliehen“. Diese wurden gebeten die vorformulierten Ideen auf kleine Zettel zu schreiben. Nach der Vergrößerung wurden sie an die
große Wand der Ausstellungshalle gepinnt. Ein anderes Blatt sieht einen Gerichtssaal vor, in dem die Zuhörer sich nicht für das Urteil interessieren, sondern für die Art der Inszenierung. Weitere Notizen handeln von Vorstellungen, die unter Tischen von Gourmet-Restaurants aufgeführt werden. Am radikalsten ist das Konzept für eine Inszenierung, die aus einer einzelnen Begegnung besteht. Die Zettel werden vor einem goldenen Hintergrund zusammen mit hunderten ausgemusterter Stühle aus den Sitzreihen des Heidelberger Theaters präsentiert. Einige Stühle
laden zum Hinsetzen ein, andere stehen an die Wand gelehnt. Ein paar sind zum Schaukeln umgebaut worden, von denen aus man die Blätter genauer betrachten kann.

Ein Theater nach dem Ende des Theaters:
Indem das Theaterinterieur in die fremde Umgebung des Ausstellungsraums transplantiert, eröffnet es neue Blicke auf die Zukunft der bürgerlichen Institution des
Theaters.

Mit der Ausstellung wird das Augenmerk auf die unterschiedlichsten Produktionen von Rimini Protokoll im letzten Jahrzehnt gelenkt. Die Besucher können die Unterschiede zwischen den Antworten von 100 Wienern und 100 Berlinern auf die gleichen Fragen aufspüren oder sich
auf einen live zugeschalteten indischen Call-Center-Mitar beiter einlassen. Im Eingangsbereich der Ausstellung kann anhand von Schriften und Projektionen das große Theaterspektakel einer Hauptversammlung nacherlebt werden, die 2009 im ICC Berlin unter der strengen Regieleitung der Abteilung Investors Relations der Daimler AG veranstaltet wurde.

Ein Protokoll ist in der Informatik ein technischer Begriff, der für ein Set von Verhaltensregeln für eine gegebene Situation steht. Ein Protokoll legt also fest, zu welchem Ergebnis ein bestimmter Prozess führt, ohne dass die Bestandteile des Prozesses im Vorfeld bekannt sind. Wenn man den Namen Rimini Protokoll, in diesem Sinne liest, enthält die Ideenansammlung im Heidelberger Kunstverein nicht nur Ideen für lustige oder humoristische Situationen. Vielmehr ergäben die Ideen nach dieser Lesart ein Archiv von Situation, in denen das Prinzip Rimini Protokoll angewandt werden kann, um im potentiellen Teilnehmer ein kleines (oder großes) „détournement“ zu provozieren. Wer einmal an einem solchen protokollierten Moment teilgenommen hat, weiß, dass die Welt danach ein kleines bisschen anders aussieht. Und das für immer.