Shooting Bourbaki

- Ein Knabenschießen

Von Haug / Kaegi / Wetzel

Beim Knabenschiessen, dem traditionellen Zürcher Volksfest, fühlen 13- bis 17-Jährige vor. Mit Sturmgewehren schießen sie auf Zielscheiben, um Mofas oder Flugreisen zu gewinnen. 

Der innere Anschlag

Knabenschießen in Zürich, Festgelände Albisgütli. Ein Wald aus bunten Bürgerbeschleunigern mit verschiedensten Schwungangeboten: Gehirne für Sekunden Geschosse – und auf Dauer dann doch Flummies im Spektakel, gebeutelt zwischen Schwüngen und Querschlägern. Gäbe es nicht die kakophone Dröhnung aus Musik und Machogesabber, das Heulen und Zischen der Laufwerke klänge nur wie eine monströse Baustelle, die Kreischer und Jauler der Insassen wie ein Massaker. Dann klänge auch das Knattern von den Schießbuden dazwischen anders – die Salven, die mit dem immergleichen Vorgang auf Luftballons, Rosen, Teddys abgefeuert werden: Laden, Zielen, Handeln, die Folgen begutachten. Man kann auch auf eine Scheibe zielen, deren Zentrum ein Auslöser ist – die getroffene Scheibe, das Treffer-Ich auf dem Polaroid. In der großen Halle Schießen pur: Fünfzig Podeste sind vor einer breiten Öffnung aufgestellt, darauf liegen Knaben und Mädchen, neben ihnen Schützen in therapeutischer Ruhe und mit eidgenössisch-väterlichem Brustton. Sie helfen den Kindern bei der Arbeit am „äußeren“ und am „inneren Anschlag“: Den Körper ausrichten und beruhigen, das Sturmgewehr richtig halten, die Wahrnehmung kanalisieren, den Finger langsam an den Druckpunkt heranführen, als würde man eine Zitrone auspressen!

Die Lehrmeister halten den Kindern Folien zwischen Blick und Ziel, auf denen eingezeichnet ist, wie Kimme, Korn und die Mitte der Zielscheibe liegen sollen in dem entscheidenden Moment zwischen Ein- und Ausatmen: „Du hast nur 5 Sekunden Zeit; Du kannst nur 5 Sekunden wirklich scharf sehen“. Begeisterung war nicht zu sehen in den Gesichtern der Kinder, eher Ernst und Eifer, vielleicht wie bei einer Freischwimmerprüfung. Es geht ja auch nicht um Kampfmaschinen, sondern um das schweizer Sturmgewehr als Schnittmenge zwischen den Ego-Shooter-Games am Computer und eidgenössicher Nationalpädagogik. Wir haben in Luzern 5 Knaben im Stimmbruch gefunden, um uns mit ihnen in diesem Feld zu bewegen, auf einer Probebühne, die früher ein Schießstand war: Adrian, Ahmed, Diego, Thomas, Valentin. Sie sind gut in der Schule, haben behütende Elternhäuser, und in der Regel bislang weder geschossen noch Theater gespielt. Sie sind keine Laien, sondern die Spezialisten, deren Kompetenz Shooting Bourbaki zugänglich macht – so, wie wir in der vorangegangenen Produktion Kreuzworträtsel Boxenstopp Damen um die 80 aus dem benachbarten Wohnstift auf der Bühne mit der Formel 1 konfrontiert haben und mehr Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Feldern gefunden haben als Divergenzen. Keine Schauspieler zu sein hat sie kompetent gemacht für unser Spezialistentheater – die Damen aus Frankfurt/M., die Knaben aus Luzern.

 

Von: Helgard Haug, Stefan Kaegi, Daniel Wetzel
Bühnenbild: Viva Schudt
Dramaturgie: Olaf Kroeck
Mit: Valentin Erni, Thomas Hostettler, Diego Krauss, Ahmed Mehdi, Adrian Seitz.
Produktion: Luzerner Theater, Expo.02
Koproduktion: Künstlerhaus Mousonturm/Frankfurt a.M., Neues Cinema/Hamburg, Sophiensæle/Berlin, BIT Teatergarasjen/Bergen, Avantgarden/Trondheim

Premiere: Luzerner Theater, 24. Jaunuar 2002

Gewinner des Impulse Preises 2002