Zeugen! Ein Strafkammerspiel

Von Haug / Kaegi / Wetzel

 Ein Meta-Prozess über das Theater der Justiz. Jeden Tag wird der Gesetzestext in Moabit 100fach interpretiert und dargestellt - und doch gibt es am Ende keinen Applaus - sondern Strafe oder Freispruch.

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Als 1951 für die Richter des Bundesverfassungsgerichtes eine Amtskleidung her musste, sprang das Theater als Rohstofflieferant ein: Aus einem Karlsruher Theatervorhang wurden die roten Gewänder für die oberste Instanz der deutschen Rechtspflege.

Ist jeder Prozess ein Theaterstück? Kein Gerichtsaal ohne Zuschauertribüne vor einer vierten Wand aus Geländern oder Panzerglas; Richter, Anwälte und Staatsanwälte wirken in ihren Roben wie Darsteller eines Justiz-Rituals. Als gelte es, Brecht gerecht zu werden, wird die Abfolge der Szenen angesagt und anhand der Aktentextes protokollarisch nachvollzogen; in Plädoyers wird der Lebenslauf jedes Angeklagten kleistisch auf die Moral-Waage gelegt und gegen gesellschaftliche Umstände abgewogen. - Vorspiegelung falscher Tatsachen? Das Prozess-Drama behandelt in aristotelischer Einheit von Ort und Zeit den amtlichen Versuch, aus komplexen Zusammenhängen und gegensätzlichen Perspektiven jeweils das eine Bild der Tat zu fädeln. Indizien, Wahrnehmungen oder Wahrscheinlichkeiten - Wem in Volkes Namen glauben?

Dem Als-Ob des Theaters steht ein reales Strafmaß gegenüber und der Theaterblick verfängt sich: Es sind nicht alle gern auf dieser Katharsis-Bühne. Das Theatrale der Rechtssprechung ist untrennbar verbunden mit dem Schwanken des Zuschauers zwischen Voyeurismus, Vorurteil und Sachlichkeit. Laut Aussage eines Berliner Staatsanwaltes sagt nur jeder dritte Zeuge die Wahrheit. Für Zeugen! nehmen acht Justizprofis verschiedenster Couleur ihre Fälle wieder auf. Im Gericht, diesem vielleicht letzten kamerafreien Raum, waren sie Zeugen von Zeugen, auf der Bühne werden sie zu Darstellungsspezialisten in einem Meta-Prozess, bei dem das Theater über das Gericht als Rohstofflieferant prozessiert.

Von: Helgard Haug, Stefan Kaegi, Daniel Wetzel

Mit: Brigitte Geier (Zeugenbegleiterin), Franziska Henschel (Schauspielerin in der Rolle von Konstanze Schagan, Gerichtszeichnerin), Ilse Nauck (Schöffin), Brigitte Neubacher (ehemlaige Angeklagte), Thomas Dahlke (Tischlermeister), Eckart Fleischmann (Rechtsanwalt), Fabian Gerhardt (Schauspieler), Detlef Weisgerber (Gerichtsbesucher)

Bühne: Steffi Wurster
Produktion: schauspielhannover, Hebbel am Ufer Berlin, gefördert aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds

Premiere: Berlin, HAU 2, 10. Januar 2004