Von Sternen, die selten lügen, und der Einsamkeit mächtiger Männer

Wie die Küntlergruppe Rimini Protokoll den Mannheimer CDU-Stadtrat Sven-Joachim Otto zum „Wallenstein“ macht

By Ralf-Carl Langhals

07.06.2005 / Mannheimer Morgen

In zwei Stunden „Wallenstein“ fallen nicht mehr als 50 Zeilen Schillertext, ein wildes Werkstattprojekt aus Lebenszeugnissen von Soldaten, Mächtigen und Gescheiterten; allesamt Laiendarsteller, Mundartsprecher oder skurrile Figuren kurz es ist just jene Theaterform, die Sven-Joachim Otto so vehement bekämpfte. Er, der OB-Kandidat, Fast-Kämmerer, Stern am Kurpfälzer Polithimmel, Fraktionsvorsitzende und Prügelknabe, der mit Bierfass, Nachbars Hund, Wunschoper und sauberem Reclam-Theater auf Stimmenfang war, spielt nun den großen Feldherrn Wallenstein und sich selbst.

Genau jener konservative Musenfreund also, der in einer Krise des Mannheimer Sprechtheaters lässig über die Schließung der Schauspielsparte schwadronierte, da seine Wähler ohnehin in der Oper säßen, ist jetzt die Hauptfigur eines Projektes, das alles andere ist als weihevolles Feiertagstheater. Gerade deshalb gereicht es Schiller zu Ehre, was sich Helgard Haug und Daniel Wetzel, zwei Künstlern der bestens reputierten Dreierformation „Rimini Protokoll“, zu Schillers durchkomponierter gigantischer Schiller-Trilogie ausgedacht haben.

Nun ist Otto kein kaiserlicher Generalissimus und der OB-Wahlkampf kein Dreißigjähriger Krieg, doch welches sind die Spielregeln des Erfolgs? Wo gilt es Entscheidungen zu treffen? Wann ist der Mächtige machtlos? Wie wird der Täter zum Opfer? Haug und Wetzel suchten an Stätten ihrer Koproduktion der Nationaltheater Mannheim und Weimar Entsprechungen aus heutiger Zeit und fanden sie in Ralf Kirsten, Leiter einer Weimarer Polizeidirektion, der sich zu DDR-Zeiten durch Liebe zu einer Ausreisewilligen Ost- wie West-Karriere versaute, und im Mannheimer Richter und im CDU-Stadtrat Sven-Joachim Otto.

Am unteren Ende der Machtskala stehen laut Schiller die „Jungs an der Front“, zwischen Drill und Überlebenskampf eindrücklich dargestellt von den Vietnam-Veteranen und Antikriegsaktivisten Dave Blalock und Darnell Summers, dem ehemaligen Zeitsoldaten Hagen Reich und dem Mannheimer Edelstatisten und Luftwaffenhelfer Robert Helfert. In Wallensteins Lager marschieren, singen und stampfen sie nicht nach Schillers Metrik, sondern im Takt ihrer Kriegserinnerungen zwischen Mannheimer Großkraftwerk und Vietcong. Zwischen Mächtigen und Duldern stehen die Vermittler, Förderer und Gewährsleute: nicht Seni, die Mannheimer Astrologin Esther Potter befragt die Sterne zu Sven Wallensteins politischer Zukunft. Aus den Vorzimmern der Macht des Hotel Elephant in Weimar berichtet der ehemalige Oberkellner Wolfgang Brendel zwischen Hitler-Pfalz und KSZE-Verhandlungen.

Um die Einsamkeit mächtiger Männer weiß dagegen Rita Mischereit („Meine Erreichbarkeit ist mein Kapital“), Inhaberin einer Seitensprungagentur in Ludwigshafen, und schlüpft in die Rolle der kuppelnden Gräfin Terzky. Theatralische Qualität ist hierbei offensichtlich: Menschlich anrührend dreht sich auf der monumentalen Neckarauer Probebühne (Ausstattung: Judith Kehrle) als Karussell um politische Kabale und menschliche Einzelschicksale. Sie alle erzählen ihre Geschichte, einfach so, mit natürlichem Charme, eigener Sprache und souverän in ihrer laienhaften Unsicherheit.

Faszinierend dabei ist, dass keiner dieser Menschendarsteller auf Kosten trashiger Projektkunst denunziert wird, nicht der schwäbelnde Schillerfan Friedemann Gassner, nicht der Politiker Otto. Man scheint ehrlich mit den Peinlichkeiten des menschlichen Strebens umgehen zu wollen. Und so erzählt Otto vom Dasein als Verlegenheitskandidat, von der Wahlkampfbroschüre, von politisch korrekten Lieblingsgerichten, von Grillfesten mit Bierfass, vom geliehenen Familienhund zu PR-Zwecken und mit dramatischem Impetus –  vom Moment des „Verrats“, durchaus mit Humor und auch schonungslos. Otto das Opfer? Wir sehen ihn als Verarbeiter einer persönlichen Niederlage, das verdient Respekt und schafft selbst Sympathien bei Menschen, die ihn auf Nachfrage ins Publikum auch in zehn Jahren, wenn – wie Astrologin Potter weiß – seine Sterne besser stehen, nicht wählen werden.

Kein Wort von den eigenen Machtspielchen, von unbeirrbaren Willen zur Macht, von Großspurigkeiten in Ausschüssen und Gremien. Wird hier ein Polit-Saulus zum geläuterten Theater-Paulus? Therapiert er bewundernswert eine persönliche Niederlage oder kokettiert er mit vermeintlich gezogenen Lehren und schreckt selbst vor Selbstentblößung nicht zurück? Wir wissen es nicht. Was bleibt ist ein kluger Theaterabend mit großartiger Ensembleleistung, pfiffig erdacht und originell umgesetzt. Schiller zur Ehr – ein dramatisches Gedicht im besten Sinne.

Weitere Aufführungen: 7. Bis 10. Juni, Probebühne Neckarau, 20 Uhr. Karten unter 0621/1680-150


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