Vielfalt der Stimmen

"Radio Muezzin" in Düsseldorf

By Thomas Hag

06.11.2009 / Der Westen

Düsseldorf. Allah u Akbar, Gott ist groß”, verkünden die Muezzine von den Minaretten der Moscheen Kairos. Noch sind es Tausende, aber diese Vielfalt ist bedroht, denn bald sollen es nur noch dreißig sein, die über das Radio rufen, live, denn so ist es vorgeschrieben.
Stefan Kaegi von Rimini Protokoll, jenem Theatertrio, das mit seinen dokumentarischen Inszenierungen schon oft für Furore gesorgt hat, machte sich vor zwei Jahren auf die Suche nach denen, die wohl bald ersetzt werden. Nun hat er mit „Radio Muezzin” ein Stück auf die Bühne gebracht, das als Glücksfall gelten darf. Drei Muezzine erzählen auf einem rot-weißen Moschee-Teppich auf Arabisch (mit Übertiteln) aus ihrem Leben, stimmen religiöse Texte an und erläutern die Fotos und Filme, die hinter ihnen auf Leinwand projiziert werden, Jugendbilder, Videosequenzen aus dem hektischen Verkehr in Kairo und aus den Moscheen.
Dort singen und beten sie nicht nur, sie reinigen auch den Teppich und wechseln Leuchtstoffröhren aus. Den Männern ist ein Radiotechniker zur Seite gestellt, der von seinem Job berichtet und eine elektronische Uhr vorstellt, auf der die verschiedenen Gebetszeiten abgelesen werden können.
Die Uhren, wie auch die Lautsprecher, kommen mittlerweile aus China. Am Anfang der Tournee war noch ein vierter Muezzin dabei. Der wird mittlerweile von einem jungen Mann vertreten. Denn der vierte, er gehört zu den Auserwählten, hat sich mit seinem Kollegen verkracht und ist aus der Tournee ausgestiegen. Wenn man sieht, wie er sich in den eingespielten Filmen und Fotos als Freund der Mächtigen und Prominenten inszeniert, der nebenbei auch noch Gewichte stemmt, kann man sich vorstellen, wie die Spannungen entstanden sind. Die anderen drei geben sich bescheidener, auch gewitzter.
Mehr Beifall ist verboten
„Radio Muezzin” ist ein anrührendes Stück, das wie nebenbei außerst komplexe Fragen anspricht. Bleiben die realen Personen, was sie sind oder werden sie zu Schauspielern? Und sind ihre wahren Geschichten nicht bewegender und sogar theatralischer als das Theater selbst? Stefan Kaegi spielt brillant mit diesen Fragen, lässt einige von ihnen offen. Eine beantwortet sich scheinbar selbst. Als die Muezzine und der Radiomann nach dem ersten Applaus nicht mehr auf die Bühne zurückkehren, leuchtet noch einmal die Schrift der Übertitelung auf: mehr Beifall dürfen sie nicht entgegennehmen. Schließlich sind sie Muezzine, keine Schauspieler.

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Radio Muezzin