Viel reden, nichts sagen

Diplomatie als Staats-Theater – „Schwarzenbergplatz“ von „Rimini Protokoll“. Ein sperriges Thema als unterhaltsamer Collagenteppich.

By Feuilleton

06.12.2004 / Die Presse


Diplomaten sind junge Männer, die ins Ausland gehen, um für ihre Heimat zu lügen." Flapsig dahin gesagt von - einem Diplomaten. Überspitzt, ja. Da könnte man auch sagen, ein Schauspieler lügt. Aber wie ist das mit der Diplomatie, dem Protokoll? Wie viel Theatralik steckt in der Präsentation eines Landes, etwa bei einem Staatsbesuch? Und was versteckt sich hinter der ganzen Dramaturgie? "Rimini Protokoll" (Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel) haben sich diese Frage zur Aufgabe gemacht für "Schwarzenbergplatz", das am Samstag im Kasino seine Uraufführung erlebte. "Rimini Protokoll" machen Dokumentartheater, auf der Bühne stehen keine Schauspieler, sondern Menschen, die collagenhaft aus ihrer eigenen Lebensgeschichte referieren.


Martin Thelen aus dem Außenamt zieht weiße Handschuhe an, bevor er seine Karrierestationen auf einer Weltkarte mit Fähnchen markiert. Lakonisch erzählt er von geschlossenen oder heiklen österreichischen Botschaften ("auch heiß, auch Fundamentalismus"). Kleinodien sondert er nebenbei ab: "Malta ist die einzige Botschaft ohne Dienstwagen." Brigitte Hörbinger war als Diplomatenfrau "elegant für Österreich". Ihre detaillierte Beschreibung unzähliger Abendkleider, die sie später der Caritas geschenkt hat, zieht sich durch das Stück. In den USA musste die Heimat unsubtiler durchschimmern - mit "einer Almblumenbrosche aus geschliffenem Bernstein".


Die Dramaturgie eines Staatsbesuchs erklärt Major Thomas Mader. Am roten Teppich zeigt er, wie die Ehrenformation der Garde abläuft. Zeigt seinen antiken Säbel mit Fischhautgriff, nennt die Spalierbäume "Jubelkraut". Fahnenfabrikantin Ulrike Zimmel führt in die Fahnenkunde ein: "Das ist jetzt Oberösterreich - oder Polen." Sie erzählt, dass die Herstellung von Fahnen mit Micky-Mäusen genauso verboten ist wie von solchen mit Hakenkreuz. Und erzählt, dass sie für ein Theater einmal den Adler auf der österreichischen Flagge verändert hat, damit sie auf der Bühne verbrannt werden durfte. Dann weht Föhn-Wind, damit die Polyesterwirkware flattern kann.


Die Gesangsstudentin Ying zeigt eine andere Seite: die Aufenthaltsbewilligungsbürokratie. "Solange ich singe, darf ich hier bleiben", sagt sie auf Chinesisch. Dass Staaten einander missverstehen, weil ihre Sprachstrukturen so unterschiedlich sind (deutsch-chinesisch), oder dass sie einander gern absichtlich missverstehen, zeigt ein Abstecher in Botschafter Wolfgang Woltes China. Und die ins Chinesische übersetzten "Sissy"-Filme, die samt dem Leiter der Fremdenpolizei und Laienschauspieler Willfried Kovárnik eine gelungene Schlusspointe liefern.


Ähnlichkeiten zwischen Theater und Staatsbühne: Die Geschichte vom Urgroßvater, der Chargen am Burgtheater spielte, führt nahtlos in die Visumsstelle, wo sich viele Menschen verstellen, um ein Visum zu bekommen. Episodenhaft reiht sich ein unterhaltsames Lebensprotokoll ans andere und wird zu einem ganz neuen "Staatsprotokoll". Was dahinter liegt, wird oft nur schemenhaft deutlich: Zu stark sind die Protagonisten in ihren Berufen verwurzelt, kritische Bemerkungen berechnet wohldosiert und ironisch gebrochen. Vielleicht hat Chauffeur Horst Fischer Recht, der da sagt: "Diplomatie heißt: Viel reden, nichts sagen."


Die Presse, Feuilleton, Montag 6. Dezember 2004, Seite 28

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