Spiel mir das Stück vom Tod

Neues Cinema: Am 4. Mai ist endgültig Schluss: Die letzte Premiere heißt "Deadline".

By Klaus Witzeling

26.04.2003 / Hamburger Abendblatt

Hamburg -Theater und Tod haben viel gemeinsam. Auf der Bühne durchbohren Effektdolche Darsteller zum falschen Sterben, und jede Trauerfeier gleicht einer exakt geplanten Inszenierung. Und schließlich findet jedes Theater einmal sein Ende - wie jetzt das Neue Cinema. Aus Spargründen schließt das Schauspielhaus seinen schrägen Nebenschauplatz am Steindamm. Mit der Premiere von "Deadline" erwiesen ihm Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel die letzte Ehre. Sie zelebrierten dort mit fünf kundigen Leuten vom Fach eine würdevolle, doch keineswegs humorlose Verabschiedung, sparten auch nicht an Trauerfloristik und Wehmutsmusik. Es sind eben Spezialisten am Werk. Sie beherrschen nicht nur den flotten Umbau zwischen zwei Feuerbestattungen, sondern versorgen die versammelte Gemeinde, die derlei unangenehme Todesdinge lieber an Fachleute delegiert und danach rasch verdrängt, mit einer Menge statistischer und klinischer Sterbe-Fakten ("Mit jedem Herzschlag stirbt ein Mensch. Macht bei Puls 98 weltweit 364."). Sie erzählen makabre Anekdoten, fachsimpeln mit Steinmetz Hilmar Gesse, dem Meister des gemeißelten und nicht gesprochenen Worts, über Aufbahrung und Grabinschrift, tauschen letzte Gedanken, Worte und Wünsche aus. Ex-Bürgermeister Hans-Dieter Ilgner, der Erbauer eines effektiven "Flammariums" zur Verbrennung, wünscht sich zum Abschied Dixieland und hat einen Fichtensarg bestellt: "Da drin könnte ich dumpf die Musik hören." Vorpräparatorin Alida Schmidt plant, ihre Tätowierung konserviert und gerahmt der Zwillingsschwester zu hinterlassen. Trauerredner Olav Meyer-Sievers übernimmt den Part des Totengräbers, fördert wie sein Bühnenvetter in Shakespeares "Hamlet" Überreste der Ahnen ans Licht. Raffiniert überlagern und verweben sich Fiktion und Wirklichkeit. Die Performance-Profis Haug/Kaegi/Wetzel verknüpfen Report, Dokumentarfilm- und (Hör-)Spiel-Szenen, werden ihrem überregionalen Ruf als Realität fokussierende Inszenatoren des Alltagslebens voll gerecht. Wunderbar sensibel verstehen sie es auch die auf Grund ihrer Professionen ohnehin nicht so "auftrittsunerfahrenen" Akteure mit selbstironischem Todernst am Grabesrand im Gleichgewicht von Darsteller und Privatperson zu halten. Die ihrem Metier entsprechend anonym bleibende Trauermusikerin aus Russland darf endlich einmal das ziemlich unbeliebte Bach-Stück auf der Geige spielen, das sie so wunderbar traurig findet. Ebenso hingebungsvoll fiedelt sie dann noch den von Hamburger Hinterbliebenen besonders oft bestellten Hit: "Time To Say Goodbye". Ein schmalziges, aber herzliches Tschüs - für die Verblichenen wie für das am 4. Mai endgültig verscheidende Cinema-Theater.

 

 


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