Schiller auf der Bühne (3)

Die Weltgeschichte in «des Bürgerlebens engem Kreis» spiegeln Auch 200 Jahre nach seinem Tod wird Schiller oft gespielt. Warum eigentlich? Antworten von Rimini Protokoll.

By Tobi Müller

17.06.2005 / Tages-Anzeiger Zürich

Ein Jüngling sitzt am Strand, das Gewehr im Anschlag. Vietnam, 1969. Das Bild auf dem Programmheft zeigt Soldat Dave Blalock, der heute in «Wallenstein» mitspielt, in der «dokumentarischen Inszenierung» des Regiekollektivs Rimini Protokoll. Sein afroamerikanischer Kollege Darnell Summers trägt Uniform. Beide waren in Deutschland stationiert, bevor sie sich nach Vietnam meldeten. Wenn Blalock im Probezentrum des Nationaltheaters Mannheim vom Einsatz erzählt, stockt er. Karriere gabs nur mit genügend Toten, der «body count» zählte. Da wurde auch mal auf Frauen und Kinder geschossen. Jetzt dröhnen Led Zeppelin - «I got a whole lotta love», die Gitarre wie fallende Bomben, Robert Plants Schreie wie ein Dschungelvogel auf LSD. Vietnam und «Wallenstein»? Eine dokumentarische Inszenierung, eine Uraufführung des Klassikers? In Mannheim hört man nur wenige Verse des Meisterwerks über den Dreissigjährigen Krieg. Denn die Regisseure von Rimini Protokoll wollen das Stück mit echten Biografien «überschreiben». Daniel Wetzel sagt: «Wir wollen dem Bürger vertraut machen, wie sich Weltgeschichte in diesem engen Kreis spiegelt.» Im Prolog dagegen schrieb Schiller, wie er mit dem schon damals historischen Stoff die Zuschauer «aus des Bürgerlebens engem Kreis / Auf einen höhern Schauplatz zu versetzen» trachtete.

Wetzel und Kollegin Helgard Haug verstehen den Bürger anders. Mit dem Bürgerlichen meinen sie das Rollenspiel, den Guckkasten, das Theater. Diese Bedingungen wollen sie durchbrechen, um zum heutigen Bürger zu gelangen. In Mannheim (West) und Weimar (Ost) suchten Haug und Wetzel deshalb drei Monate lang Leute, in deren Biografie die schillerschen Figuren «kriechen konnten».

Neben den Veteranen treten auf: eine Astrologin, eine Seitensprungvermittlerin, ein deutscher Zeitsoldat, ein lokaler CDU-Politiker, ein stv. Polizeidirektor, ein Schillerfan im Trainingsanzug, ein Flakhelfer aus dem Zweiten Weltkrieg, ein Kellner, der den DDR-Oberen Orangensaft servierte. Sie alle erzählen ihre Geschichten, sachte gruppiert von Regisseuren, manchmal mit unverfrorenen Effekten. Spielen macht den Menschen aus, das wusste schon Schiller. Doch vor dem Herumalbern, auch vor dem hohen Ton, musste Rimini Protokoll ihre Protagonisten schützen.

Das Stück, sagt Haug, sei ein Satellit, der die Signale wieder runtersende, ein Rahmen, der den Abend organisiere. Beide schätzen den Text und freuen sich auf die Inszenierung, die Andrea Breth in Wien plant. Aber die Riminis suchten ein deutsches Stück, dem «man nichtgerecht werden kann». Damit die Energie der Geschichten nicht in den Versen versickert, muss das Scheitern offensichtlich bleiben. Schiller hatte die drei Teile des Dramas um Krieg, Freiheit, Treue und Verrat zwischen Herbst 1798 und Frühling 1799 in Weimar einzeln uraufgeführt. Mit grossem Erfolg. Mühsam und zäh hatte sich die Entstehung hingezogen, am berühmten Dichter nagten Selbstzweifel. Warum musste Goethe den «Wilhelm Meister» gleichzeitig schreiben, der ihm scheinbar so leicht von der Hand ging, während er selbst an der strengen Konzeption, an der Philosophie fast verzweifelte? Auch Rimini Protokoll hatte Probleme. «Auf den Teppichetagen Mannheims haben  alle ihre Macht verneint.»

Doch Sven-Joachim Ottos Geschichte vom Politikeraufstieg zum jähen Fall lohnte die Mühen. Am Schluss  fragt der Mann, der in seinem Wahlkampf einst gegen das Regietheater wetterte: «Wer hat mit mir mitgelitten?» Das ist die Wahrheit dieses Abends, der mehr Verbindungen zu Schiller zulässt, als man erst denkt. Am Ende sieht man fragiles Einfühlungstheater und hört spannende Storys. Mit dem Recht auf Selbsterfindung und auf den Schein, der die Wirklichkeit überwindet, schleicht sich Schiller in diese «Uraufführung» zurück.

 


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