»Manche Zuschauer ­haben auch geweint«

By Tom Mustroph

02.03.2019 / zitty.de

Regisseur Stefan Kaegi über die emotionale Wucht von Roboter-Avataren und 60 Jahre kubanische Revolution im Blick von jungen Kubanern heute

Der März ist Stefan-Kaegi-Monat. Gleich mit zwei sehr unterschiedlichen Produktio­nen ist der Mitbegründer des Regie- und Performance-Kollektivs Rimini Protokoll in der Stadt präsent. Im Haus der Berliner Festspiele läuft im Rahmen der „Immersion“-Reihe die Cyborg-Performance „Unheimliches Tal“. Ein mit 32 Motoren angetriebener Roboter in menschlicher Gestalt tritt darin als Double des Schriftstellers Thomas Melle auf. Im Gorki wiederum lässt Kaegi in „Granma“ vier Enkel von kubanischen Revolutionären über die Revolution selbst, den Blick von außen auf das sozialistische Experiment in der Karibik, aber auch den Blick von Kuba auf die kapitalistische Restwelt sprechen.

Herr Kaegi, „Unheimliches Tal“ wird von einem nicht-menschlichen Performer bestritten. Es geht darin um Zukunftsfragen wie das Verhältnis des Menschen zu Robotern und Prothesen, aber auch um die Stabilität, die Medikamente der menschlichen Psyche geben können. „Granma“ hingegen schaut mit echten Menschen auf verblichene Utopien und auf eine Revolution, also den Exzess schlechthin. Wie halten Sie es zwischen so extremen Polen aus?
Ich freue mich, dass die Stücke so wenig miteinander zu tun haben. Es war ein gesunder Wechsel von der Arbeit mit einem technischen Gerät, bei der man immer wieder auf Techniker warten musste, bis die nächste Armbewegung möglich war, zu einer Produktion in einem Umfeld, in dem es Internet kaum gab, in der aber menschliche Geschichten von Darstellern mit kubanischer Wärme und Energie erzählt werden. Gemeinsam ist beiden Produktionen der dokumentarische Ansatz und die individuelle Perspektive, aus der die Geschichten erzählt werden.

Was machte Ihnen mehr Freude: das Proben mit menschlichen Darstellern oder mit einem Roboter?
Bei den Proben für „Unheimliches Tal“ war das Faszinierende die technisch erzeugte Präzision von menschlichen Regungen. Aber der Roboter arbeitete nicht von allein. Ich musste ihm genau sagen, welche Gesten ich will. Die allerdings führt er dann exakt aus. Mit den Schauspielern hat man einen viel intensiveren Austausch.

Wie reagiert das Publikum auf einen nicht-menschlichen Performer? Theater ist doch eigentlich die Verabredung, dass hier Menschen agieren, ihnen andere Menschen zuschauen und dabei Emotionen hergestellt werden?
„Melle2“, so nennen wir den Humanoiden, ist ja genau dafür konstruiert worden, um Empathie für Thomas Melles Gedankengänge zu erzeugen. Wir haben zwar seinen Hinterkopf offen gelassen, so dass man die elektronischen Bauteile in seinem Inneren sehen kann. Aber immer wieder sagen mir Zuschauer, dass sie verblüfft sind darüber, wieviel Gefühl dieses Objekt mit seiner Silikonhaut in ihnen erzeugt hat. Manche haben auch geweint.

Ebenfalls zum Weinen ist, zumindest aus linker Perspektive, wie sich die einst auch von Berlin aus gefeierte kubanische Revolution entwickelt hat. War es schwierig für Sie, kubanische Darsteller für „Granma“ zu finden?
Ich bin seit 2008 immer mal wieder auf Kuba und habe meist mit den Leuten vom Laboratorio Escénico de Experimentación Social (LEES) zusammengearbeitet. Das sind sehr junge Theatermacherinnen, die frustiert waren, dass die meisten Theater in den Händen von älteren Männern waren. Mit einer Kerngruppe haben wir über ein Jahr hinweg Personen gesucht, die die Revolution aus der Perspektive verschiedener Generationen erzählen können. Ursprünglich wollte ich das Stück mit Alten machen, aber ich wollte kein „Buena Vista Social Club“. Ohne­hin haben die Alten schon zu lange das Sagen gehabt. Die Anfänge ihrer Revolution faszinierten mich aber. Daher haben wir ein Doppelcasting gemacht nach Protagonisten mit eigenen Geschichten und mit interessanten Großeltern. Auf der Bühne steht jetzt aber die junge Generation Kubas.

Welche Geschichten werden erzählt?
Daniels Großvater besorgte einst die „Granma“, das Schiff, mit dem Fidel Castro nach Kuba kam, und war später unter Castro der erste Umverteilungsminister. Der Großvater von Christian war mit dem berühmten – und später wegen Drogenschmuggels hingerichteten – General Ochoa und seinen kubanischen Truppen in Angola im Einsatz. Dianas Großvater wiederum trat als Musiker auch vor den Truppen Ochoas in Afrika und in Syrien auf. Milagro erzählt über ihre Oma und darüber, wie eine einfache Frau im sozialistischen Kuba zu einem besseren Leben kommen konnte und wie sie selbst auch davon profitierte, indem sie als Schwarze und als Frau studieren konnte. Wir erzählen mit Ausschnitten aus dem Parteiorgan „Granma“ aber auch aus sehr persönlichen Perspektiven, wie Kuba auf Ereignisse in der Welt blickte.

Wie war der Blick von Kuba aus auf die Welt?
1968 wurden zum Beispiel die Studentenproteste in Paris und der Prager Frühling in Kuba ganz anders verstanden als bei uns. Dort stand die große Zuckerernte an. Über den Mauerfall 1989 war in Kuba kaum etwas in der Zeitung zu lesen. Für die kubanische Gesellschaft war damals das gleichzeitige Ende des Kolonialkriegs in Angola und der Prozess gegen Ochoa wichtig. Das erzählen wir dann mit dem Großvater von Christian. Und der zeigt auf, dass, als Kuba in Angola aktiv war, der Westen auf der anderen Seite der Grenze noch die Apartheid unterstützte.


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