I´m a happy, happy, happy Millionaire

Rimini Protokoll lassen im HAU 1 die „Lagos Business Angels“ fliegen

By Stefan Bock

30.03.2012 / blog.theater-nachtgedanken.de

Die Macher der Dokumentartheatergruppe Rimini Protokoll haben sich den Titel ihres neuen Projekts aus der Business-Sprache entlehnt. Business Angel sind im ursprünglichen Sinne Wirtschaftsberater für Existenzgründer oder suchen Finanziers für bestimmte Firmenprojekte. Sie helfen mit ihrem Know-how und Erfahrungen Netzwerke zwischen Produzenten und finanzkräftigen Investoren zu knüpfen oder steigen auch gleich selbst in die Finanzierung mit ein. Rimini Protokoll haben nun solche Business People aus der Boomtown Lagos in Nigeria gecastet, um mit diesen Alltags-Experten in Wirtschaftsdingen eine Art Geschäftsmesse im HAU 1 zu veranstaltet. Sie gehen dabei mit uns, den Messe-Besuchern, auf die Suche nach der besten Idee, dem Traum vom „Own small Business“, den diese Männer und Frauen aus Lagos so kongenial zu verkörpern scheinen. „Lagos Business Angels” führt durch eine Art Stationen-Parcours, in dem diese kreativen Gründer und Projektentwickler ihre Geschäftsideen präsentieren und dabei nebenbei noch Einblicke in ihr Leben in Nigeria geben.

Nigeria ist laut Helgard Haug von Rimini Protokoll wegen seiner Extreme besonders interessant. Das bevölkerungsreichste Land Afrikas ist auch besonders reich an Ölreserven. Dagegen stehen, dass mehr als 100 Millionen Menschen weniger als einen Dollar pro Tag zum Leben haben. Entlang dieser Spannung erzeugenden Kluft, entwickelt die Tatsache auch einen enormen Sog auf Geschäftemacher aller Art, deren Kreativität auf Grund des Fehlens jeglicher staatlicher Unterstützung oder Einmischung keinerlei Grenzen gesetzt sind. Nigeria wird 2050 Deutschland wirtschaftlich gesehen eingeholt haben. Da kann einem schon sein festgefügtes Afrikabild ins Wanken geraten. Beim genaueren Hinsehen und -hören bei den einzelnen Stationen der Performance, stößt man aber unweigerlich auch wieder auf die üblichen Klischees wie Korruption, Betrug oder Zahlenschönfärberei und Bilanzfälschung. Davon jedoch ist die europäische Wirtschaft auch nicht gerade frei. Die hiesige Krise, ihre Ursachen und Folgen scheinen sich in Afrikas Boomstädten regelrecht wiederzuspiegeln. Aber erst einmal lockt das schier unendliche Potential für Ideen und deren Entwicklung. Was fehlt ist oft lediglich nur das nötige Kleingeld zur Realisierung und da hofft man natürlich auf den finanzstarken Westen. Wir Westler werden hier nun also von den BA´s aus Lagos beraten und einerseits zum Nachdenken über sinnvolle Strategien der Entwicklungshilfe oder gar eigene Realisierungspläne angeregt.

Jude Fejokwu z.B. ist eine Art kritischer Investmentbanker und Analyst. Er empfiehlt anhand seiner Portfolios den Einstieg an der Börse in Lagos. Uwe Hassenkamp aus Deutschland ist schon dick im Geschäft und bietet sein Netzwerk zur Vermittlung von Kontakten zu nigerianischen Firmen an. Frieda Springer-Beck, Unternehmerin aus Nürnberg, haben ihre schlechten Erfahrungen, nachdem sie 300.000 Dollar durch krumme Geschäfte verloren hatte und erst nach dem mühseligen Weg durch alle Instanzen zum Teil wiedererlangen konnte, zu einem besonderen Engagement in Nigeria geführt. Sie berät in Sachen Wirtschaftbetrug und klärt Neueinsteiger auf. Immobilienmakler Oludolapo Babs Ajayi wirbt für den Einstieg in den Wohnungsmarkt von Nigeria. Ob sich allerdings alle Nigerianer seine nachhaltig erbauten Häuser leisten können, und wie die notwendigen Kredite dafür finanziert werden sollen, ist in der Kürze der Zeit nicht zu erfahren. Frank Okoh, Autoresteverwerter, und Kester Peters, Zierfischhändler und Berater im Ölgeschäft, sind da ganz die Machertypen. Aus kleinen Verhältnissen haben sie sich hochgearbeitet und wagen nun den Schritt über die Grenzen. Frank Okoh steht an seinem Überseecontainer im Hof des HAU und verkündet freudestrahlend: „Let me show you, how we do the business.“ Zeit ist Geld, don´t waste it! Das ist die Botschaft und im 10 Minutentakt wechselt zum Gospelsong I’m A Millionaire von Bill Gaither der Standort und Standpunkt. Bei Lapdipo Oluwafemi schreitet man über einen Laufsteg, während er das Schuhwerk der potentiellen Kundschaft begutachtet. Er träumt von der Vergrößerung seines Familienbetriebs für ganz spezielles Schuhwerk. Markenbewusstsein ist nicht nur im Kauf eines Mercedes aus Deutschland erkennbar, auch im österreichischen Lustenau schätzt man die afrikanische Kundschaft. Seit Jahren schon verkauft Silke Hagen-Jurikowitsch mit hochwertigen Stickereien verzierte Stoffe an betuchte Nigerianerinnen.

Alle zusammen bestärkt der ungetrübte Glaube an das freie Unternehmertum. Zum Ende des Abends wird dann sogar eine himmlische Messe zelebriert, in die alle Anwesenden mit einbezogen werden. Pastor und Filmproduzent Victor Eriabie hat auch schon die passende Idee für notleidende deutsche Theater, er sucht Stätten für seine charismatischen Gottesdienst-Events. Dieser Abend von Rimini Protokoll ist tatsächlich eher zwiespältig und zudem noch recht einfach gestrickt. Ich vermute da aber auch die gute Absicht im Hintergrund und nicht vorrangig einen Lapsus bei der Regie. Wenn man mal all das Negative, was man über Geschäftsleute aus Nigeria oder Afrika allgemein gehört hat, außen vor lässt, entwickelt sich doch ein ganz ähnliches Bild, wie meinetwegen noch vor zwanzig Jahren im Osten Deutschlands. Auch wenn man das natürlich nicht unmittelbar vergleichen kann. Es gibt eine Art Aufbruchsstimmung in Nigeria und viele versuchen sich mit ihren Ideen durchzusetzen. Und was man hier zu sehen bekommt, ist sicher nur ein Bruchteil dessen, was an Potential in diesem Land steckt. Die Leute müssen dort ihre Nische finden, wo nicht die global agierenden Großkonzerne bereits das Territorium abgesteckt haben. Und dass Sie dabei den Heilsversprechungen des Kapitals im Westen folgen, ist nun mal der Lauf der Dinge. Wir haben es vor gemacht. Das ist dann auch der doppelte Boden, den dieses Rimini-Projekt fast unbemerkt einzieht. Auch der Westen hat die Gewinnspannen entdeckt, die im Export gefragter Produkte nach Nigeria stecken. Der direkte Preisvergleich zum Schluss zeigt das sehr deutlich. Man kann das als seichte Kapitalismusshow abtun, hier kann man aber auch sehr gut das Prinzip Angebot und Nachfrage studieren oder das Funktionieren von Kapitalmärkten erkennen. Leichter wird man es nicht mehr erklärt bekommen.


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