Die Heimat in den letzten Zügen

Uraufführung von "Mnemopark" im Theater Basel

By Irene Widmer

28.05.2005 / Markgräfler Tagblatt

Basel. Begeisterten Applaus erntete die Uraufführung von Stefan Kägis "Mnemopark" im Theater Basel: ein Stück für eine Modelleisenbahn, vier passionierte Pensionierte und eine Bauerntochter. Letztere - Rahel Hubacher als einziger Schauspielprofi - ist in Bännwil bei Langenthal aufgewachsen. Das liegt etwa eine Minute von Leipzig entfernt. Auf dem Weg dahin kommt man am Fleischberg vorbei, Umsteigemöglichkeit, auf den Butterberg. Kurz vor Bannwil fährt der Zug unter dem Huhn durch, eine entlegene indische Gastarbeiterin namens "Import". Gefahren wird man mit einer Modelllok, auf der eine Kamera montiert ist, deren Aufnahmen auf eine Leinwand projiziert werden. Das sieht fast so echt aus wie die nachtschlafene Pausensendung "Die schönsten Bahnstrecken Europas" im, TV. Nur dass gelegentlich ein riesiger Menschenkopf am Streckenrand auftaucht - so als begutachte hier ein Schöpfergott sein Werk.

Und das ist nicht einmal ganz falsch: Vier Mitglieder des Vereins"Modulbaufreunde" Basel haben eine 37 Meter oder umgerechnet 30 Kilometer lange - Kulisse gebaut. Sie sorgen mit ihren wahren Lebensgeschichten auch für den Inhalt des Stücks und amtieren außerdem als Stellwerk, Kameraleute und Schauspieler."Ready-Made"-Darsteller nennt Regisseur Stefan Kaegi seine Theaterlaien oder auch "Experten des Alltags": "Ready-Made"-Darsteller, sagte Kaegi einmal, verweigern sich den bourgeoisen Identifikationsgelüsten und schärfen den Blick für die Wirklichkeit. Trotz des kindisch anmutenden Settings, Miniaturisierung der Schauspieler und läppische Zeitreisen dank Bluebox-Verfahren funktioniert diese Methode der Wahrnehmungsschärfung sogar. Denn die Putzigkeit dieser Bonsai-Welt und ihrer treuherzig begeisterten Schöpfer entwickelt einen Charme, dem man sich kaum entziehen kann. Genau so möchte man sie im Grunde des Herzens haben, die Schweiz und ihre Betreiber: als disneyliken Mnemopark. Gemütlichkeit wird absichtlich hergestellt, um gleich wieder zerstört zu werden. Etwa durch Facts und Figures: Eine Kuh zu besamen kostet 55 Franken. Täglich geben sieben Bauern die Landwirtschaft auf. Der Schweizer Bauer wird zu 80 Prozent aus Steuergeldern entlohnt, und die Schweiz würde ohne Agrarwirtschaft verwalden.

Zusätzlich demontiert wird jeder Zug ins Heimatgefühl durch einen Bollywood-Film, der parallel zur Lebens- und Landschaftsbesichtigung gedreht wird - ganz wie es seit 30 Jahren auch in der Wirklichkeit üblich ist. Das gipfelt in einem wunderschön skurrilen Schlussbild, indem die Darsteller zu einem indischen Musik-Clip eine Choreografie aus typischen Handbewegungen des Bauern aufführen. Es beendet einen übervergnüglichen Abend, der erst gegen Ende etwas durchhängt. Vielleicht weil einem auf den dünnen Sitzkissen der Hintern eingeschlafen ist.

 


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