Das Parlamentsspektakel bleibt draußen vor der Tür

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse lehnt "Deutschland 2" im alten Bonner Plenarsaal weiter ab

By Bettina Köhl

24.04.2002 / Bonner General-Anzeiger


Bonn. Bundesadler oder Orchestergraben? Noch steht nicht fest, vor welcher Kulisse beim Festival "Theater der Welt" 666 Darsteller in Bonn eine Bundestagsdebatte nachstellen. Das Stück "Deutschland 2" darf keine Oper werden, meint das Regieteam Rimini-Protokoll. Denn 30 Prozent der Darsteller, die am 27. Juni in Bonn beteiligt sind, singen "gerne, aber schlecht".



Bedenkenträger: Wolfgang Thierse ist in sich gegangen und hat seine Entscheidung nicht

widerrufen. Foto: IMO



Der Spielort Oper kam ins Gespräch, nachdem Bundestagspräsident Wolfgang Thierse untersagt hatte, den Bonner Plenarsaal für das Theaterprojekt zu nutzen. Er sieht das Ansehen und die Würde des Deutschen Bundestages bedroht. Aber "Deutschland 2" findet in jedem Fall statt. Helgard Haug, Mitglied des Regieteams: "Das Projekt rollt und ist nicht mehr aufzuhalten."



Das Volk vertritt die Volksvertreter - so funktioniert das Stück, das politisches Geschehen kopieren und reflektieren will. Die Bonner Darsteller hören ihren Text live per Kopfhörer aus Berlin und sprechen ihn simultan nach. Bisher haben sich 250 Teilnehmer fest angemeldet, unter ihnen viele, die zu Bonner Zeiten einen engen Bezug zum Bundestag hatten.



Der Reiz liegt für die Regisseure darin, einen kompletten Sitzungstag zu verfolgen. "Wir wollen auch die Rituale zeigen, die während des Tages stattfinden. Nicht nur das medienwirksame Statement, das abends in den Nachrichten zu sehen ist", erklärt Haug.



Thierse hält an seiner Auffassung fest: "Ich habe die Sorge, dass durch das unmittelbare Nachstellen parlamentarischen Handelns an historischem Ort die Bedeutung der eigentlichen Plenardebatte im Deutschen Bundestag in den Hintergrund tritt", heißt es in einem Brief. Der Bonner Abgeordnete Ulrich Kelber (SPD) sieht das anders: "Was kann man sich mehr wünschen als eine so intensive Beschäftigung mit dem, was der Bundestag macht?"



Um seine Unterstützung für das Projekt zu zeigen, hat Kelber einen Teilnehmer nach Berlin eingeladen. Am Dienstag konnte sich Siegfried Kolbe aus Sankt Augustin einen Tag lang an die Fersen des Politikers heften. "Es ist schon sehr anstrengend. Man hetzt von einem Termin zum anderen", meinte der 56-Jährige, der bei der Bonner Inszenierung Cem Özdemir vertreten möchte.



Er freut sich auf die "Deutschland 2"-Aufführung und nimmt die Ablehnung des Bundestagspräsidenten fast persönlich: "Die Teilnehmer haben alle Interesse an der Politik. Die gehen ganz bestimmt wählen, wenn Wahlen sind."



Die große Resonanz der Bonner hat auch die Regisseure überrascht: "Es gab noch nie so viel Aufmerksamkeit und so viele Stellungnahmen." Die Diskussion geht weiter. "Ist es wirklich clever, die Kopie der Parlamentsdebatte ins Opernasyl zu treiben, statt den würdigsten der dafür in Frage kommenden Orte bereitzustellen?", fragt das Regieteam und appelliert an die Abgeordneten: "Verhindern Sie die Oper Deutschland 2. Schützen Sie die Würde des Deutschen Bundestages vor der Gefahr einer ortsspezifischen Trivialisierung."



Heute und morgen werden bei Proben in Bonn weitere Darsteller gesucht. Interessierte können sich jeweils um 18 Uhr auf der Probebühne an der Halle Beuel melden. Weitere Informationen im Festivalbüro unter 0221/51 09 09 22.


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Deutschland 2 (Theater)