Abschlussanalyse der Wiener Festwochen

Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen, sagt Goethe. Eine KURIER-Bilanz der Wiener Festwochen 2011.

By Kurier

17.06.2011 / http://kurier.at/kultur/3915052.php

Schockgefrostet. So sahen die Wiener Festwochen die Welt laut diesjährigem Plakat. So schlimm kam es nicht. Weder punkto Schock, noch in Sachen Raureif. Duldungsstarre war es eher, die einen in mancher Produktion nach mancher Stunde dem Gefrierpunkt näherbrachte. Und das unbestimmte Gefühl, irgendwie in eine Theaterendlosschleife gelangt zu sein.
Die Festwochen 2011 waren - trotz neun Uraufführungen und drei Neuinszenierungen - same procedure as every year . Berühmte Namen und vorprogrammierte (Gastspiel-)Erfolge, die üblichen Publikumslieblinge und viel ungefährliches Mittelmaß. Mit 41 Produktionen ging's durch 23 Länder; da siegte bei der Programmierung Beliebigkeit über Prägnanz. Als hätte einer den Bauchladen des Welttheaters über Wien ausgeleert und versucht, diesen als Leistungsschau des Zeitgenössischen zu verkaufen.

Vieles, was erfreute, war nicht neu, Robert Lepages "The Far Side of the Moon" aus dem Jahr 2000, Alvis Hermanis' "Lettische Liebe" immerhin auch schon aus 2006. Vieles, was neu war, erfreute nicht. Oper kam mit drei Produktionen wie stets zu kurz, wie generell das Publikum, wenn Produktionen nicht länger als durchschnittlich drei Tage zu sehen sind.

Die Glanz- und Irrlichter

Die schönsten Bilder: Eine Musiktheater-Produktion wie aus dem Bilderbuch: Xenakis' "Oresteïa" vor der Karlskirche war wunderschön anzusehen. Leider aber auch genauso statisch wie ein Bilderbuch.

Die beste Opernproduktion: Nicht "Rigoletto", sondern das als Schauspiel angekündigte "Rheingold". Regisseur David Marton gelang eine auch hinreißend-komische Wagner-Paraphrase.

Die beste Kameraführung: Der flämische Regisseur Ivo van Hove hob in "Opening Night" die Arbeit mit Live-Video auf ein neues Level. Aus dem Spiel wurde ein Spiel-im-Film-Spiel. Zwei Kameraleute sorgten für Gefühle in Großaufnahme.

Die schönste Romanadaption gelang der New Yorker Gruppe Elevator Repair Service mit "The Select" nach Hemingways "Fiesta".

Die ehrlichsten Gefühle löste der mit realen Menschen und Schicksalen arbeitende Stefan Kaegi (Rimini Protokoll) mit "Bodenprobe Kasachstan" aus.

Die größte Überraschung: Die One-Man-Show "Mission". Bruno Vanden Broecke rührte als belgischer Kongo-Missionar ans Herz.

Die meiste Freude brachte das ungewöhnlichste Projekt: Das RSO Wien überquerte die Donau und feierte im "melting pot" mit Rappern, Beatboxern und DJs ein Fest der Musik, ganz ohne Standesdünkel und Berührungsängste. Und hinterließ im Donauzentrum lauter lächelnde Gesichter.

Meistbeschäftigte Schauspielerin: Olivia Grigolli in "Subpolares Basislager", "Rheingold", "Wüstenbuch".

Die gepflegteste Langeweile: "Les Chaises" in der Regie von Luc Bondy war ... ja, was eigentlich?

Die unnötigste Bastelstunde: Ruedi Häusermanns "Gang zum Patentamt" lohnte sich für dieses pseudo-philosophische Heimwerkertheater nicht.

Das stärkste Heimweh packte das Publikum bei Castorfs fünfstündiger Dostojewski-Demontage "Der Spieler". Darsteller Alexander Scheer winkte Türenzuschlagern von der Bühne nach.

Der schlimmste Lagerkoller befiel einen bei Christoph Marthalers gefühlt achtstündigem Grönland-Camp "Subpolares Basislager".

Die lauteste Klage führte Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison. Und zwar gegen Willi Shakespeare. Der alte Brite war kein Feminist, Skandal! Warum war das Peter Sellars eine Uraufführung ("Desdemona") wert?

Das größte Ärgernis, dass ein unbedarfter Dirigent namens Omer Meir Wellber bei "Rigoletto" Verdi gegen die Wand fahren durfte.

Die ärgste Drohung, dass besagter Dirigent in den kommenden Jahren auch "La Traviata" und "Il Trovatore" dirigieren darf.

Der größte Aufreger: Gab es nicht. Zwar setzten Kornél Mundruczó mit "Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein" und Daisuke Miura mit "Castle of Dreams" auf Schreck und Sex. Unterm Strich war's aber nur schrecklich unsexy.


Projects

Bodenprobe Kasachstan (Soil Sample Kazakhstan)