Rimini Protokoll

Bernd Ernst, Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel im Gespräch mit Dipl. oek. Hubert Baumgartner bbtc), bbtc Treuhand und Consulting Baumgartner & Brieger

By Hubert Baumgartner

07.12.2001 / Zürich



BE Gut

BAUMGARTNER: Also von den Rechtsformen, sollen wir damit beginnen. Also, Ihr seid im künstlerischen Bereich tätig. Soll diese Gesellschaft auch einmal Gewinn erwirtschafen, soll die erfolgreich sein? (Schweigen) Also, ich sage mal: Wollt Ihr neben den Salären, die Ihr beziehen müsst damit Ihr auch leben könnt, auch einen Gewinn erwirtschaften, wollt Ihr wachsen, größer werden? Das ist sicher mal eine zentrale Frage. Weil dann werden gewisse Rechtsformen schon eingeschränkt.

SK: Hmm

HH: Also bislang war es auf jeden Fall so, dass wir das Geld auch immer wieder rein-invesitiert haben. Wenn ausserhalb unserer Honorare, die wir natürlich mit unseren Lebensunterhaltskosten auffressen, Gelder ‚übrig waren’, haben wir die invesitert um z.B Geräte anzuschaffen oder für neue Projekte Mittel zu haben.

BAUMGARTNER: Reinvestitionen.

DW: Aber Wachstum in dem Sinne hiesse, dass sich auch personell etwas ändert, dass man Peronal hat?

BAUMGARTNER: Ganz genau, ja, dass man angestellt wird oder beteiligt wird, je nach dem wie Ihr das dann machen wollt. Es gibt ja Vereinigungen die sagen "jeder soll am Unternehmen teilhaben" und solche die sagen "nein, wir wollen wachsen aber die Mitarbeiter sind Angestellte". Das ist eine Frage, die man sich überlegen muss. Ein weiterer Aspekt für die Findung einer Rechtsform ist die Form, die Ihr organisiert: Wie weit könnt Ihr da rechtlich gefasst oder ins Recht gefasst werden. Das ist auch ein zentraler Punkt.

SK: Sie meinen, inwieweit wir angeklagt werden könnten oder Probleme mit dem Recht bekommen könnten?

BAUMGARTNER: Ja, bei Euren Veranstaltungen, da sag ich jetzt mal das sind ja dann X-Tausend Einladungen, die da rausgehen für diese... oder hundert, ich weiß ja nicht, wie groß die sind. Und da muss ja auf diesen angekündigten Zeitpunkt alles da stehen. Angenommen, habt Ihr ein Terminproblem, angenommen, haben Eure Zulieferer dieses Terminproblem: Wie weit kann man Euch da ins Recht fassen.

HH: Ah ja.

SK: Wir schließen Verträge ab.

HH: Ja, genau. Es gibt ja immer noch die Instanz desjenigen, der uns einlädt, für den wir arbeiten, also ein Theater, ein Festival oder eine Rundfunkanstalt. Und die binden uns natürlich mit Verträgen.

BAUMGARTNER: Ganz klar. Und da sind Konventionalstrafen vereinbart.

HH: Ich hab so was noch nie durchgelesen.

BAUMGARTNER: Das würde ich mal empfehlen. Da ist eine Konventionalstrafe vereinbart, dass, wenn Ihr nicht auf Termin liefert oder wenn es eine Panne gibt, das einen Betrag X kostet. Da gibt’s ja einen Schaden für den Veranstalter. Bei einer Einfachen Gesellschaft, die Ihr im Moment seid – die ist ganz einfach gegründet indem man sagt "wir machen etwas zusammen" – sei es auch, wenn Ihr alle zu viert in die Ferien geht, mietet ein Haus, dann seid Ihr eine Einfache Gesellschaft und die Haftung bei der Einfachen Gesellschaft ist ja dann so ausgestattet, dass sich der Gläubiger aus dieser Einfachen Gesellschaft einfach einen aussucht und sagt "ja, er scheint mir solvent, ich gehe jetzt mal auf ihn los und fordere diese 100.000 Franken ein" und kann gleichzeitig jeden von Euch auswählen und da losziehen. Man haftet solidarisch für die gesamte Schuld. Das heisst, es wird dann nicht nach Konten aufgeteilt, sondern ich fordere von jedem 100.000 Franken und verrechne dann einfach, was ich erhalte. Also ich kann dann nicht 400.000 Franken kassieren. Das ist mal das eine und da ist der zentrale Aspekt: Wie weit wollt Ihr geschützt sein, also ist das elementar, was da in den Verträgen steht, werdet Ihr relativ tief zur Kasse gebeten oder ist da eher so "wenn’s nicht klappt dann klappt’S halt nicht".

SK: Also im Normalfall ist es schon so, dass die Veranstalter auf unserer Seite stehen, also es ist nicht so, dass wir die Verträge abschließen, um uns gegenseitig möglichst weit auszubeuten. Die Veranstalter laden uns ein weil sie das Gefühl haben, dass unser künstlerisches Produkt ihr Festival gut ausdrückt und erhoffen sich keinen finanziellen Gewinn sondern rechnen mit kulturellem Mehrwert.

BAUMGARTNER: Ja, das äh – hoffentlich ist es eine gute Zusammenarbeit.... Wenn mich z.B. jemand beauftragt, eine Steuererklärung zu machen, da haben wir auch ein gutes Verhältnis in dem Moment, in dem ich für ihn arbeite. Jetzt berate ich einen Scheiß, sag ich jetzt mal, und das geht schief, dann wird das Verhältnis relativ angespannt. Dafür werden Verträge gemacht, also nicht dafür wenn alles rund läuft, da braucht man die Verträge nicht. Sondern Verträge sind wirklich dafür da, dass, wenn etwas schief läuft, dass man sagt "das war Deine Aufgabe. Du hast sie nicht erfüllt. Also: Du schuldest mir etwas und zwar meinen entstandenen Schaden". Das ist vielleicht ein ganz, ganz zentraler Punkt.

SK: Also sollten wir immer davon ausgehen, dass die Festivals uns reinlegen wollen, einfach, damit wir...

BAUMGARTNER: Nein, neinein, nicht! Ich sag nicht "die wollen Euch reinlegen" sondern die sagen "wir geben Euch einen Auftrag", also, ich wäre jetzt ein Veranstalter und sage "ich kann das selber machen. Aber ich will es nicht selber machen. Also: Ich beauftrage Euch und sage am 24. Dezember gibt es eine Weihnachstfeier, da und da, so groß, was auch immer, oder oder eine Lesung oder ein Stück und Ihr organisiert mir da". Die Leute die da teilnehmen sind irgendwie alles Künstler, Getränke, das und das muss da sein" und ich sage: "Wir machen einen Vertrag und wenn das nicht klappt in dem Moment, dann entsteht mir ein Schaden und wir machen eine Konventionalstrafe von 10.000 Franken". Jetzt habt Ihr ja auch Lieferanten, die die Weine bringen und das Essen und so weiter oder Gastredner und so. Und dann liefert einer von Euren Lieferanten zu spät. Ihr haftet aber dem Veranstalter gegenüber denn Ihr habt den Auftrag übernommen als Unternehmung. Und dieses Risiko muss eigentlich mit der Gesellschaftsform berücksichtigt werden oder abgedeckt oder das Risiko minimiert werden.

HH: Wobei es so einfach bei den künstlerischen Arbeiten nicht ist. Wenn so was wie eine Ware nicht ankommt, also faktisch nicht da ist, dann ist das ja relativ einfach zu bemessen. Aber bei uns wäre ja wahrscheinlich eher der Fall, dass das Produkt was hinten rauskommt nicht den Vorstellungen der Veranstalter entspricht. Also: Wir haben uns mit einem Konzept auf einen Vertrag geeinigt und sagen "wir machen ein Stück" und das Stück findet statt aber in einer Form wie es der Veranstalter nicht erwartet hätte. Das wäre dann eher so ein Rechtsstreit. Also, dass einfach gar nichts stattfindet ist relativ unwahrscheinlich, man würde immer irgendwas machen

BAUMGARTNER: Etwas ist immer da dann und wenn’s nur Ihr Vier seid.

HH: Genau, also so würde man das relativ einfach in den Griff kriegen, dass zu der Uhrzeit irgendwas stattfindet wenn Leute kommen. Aber ob das eben das ist worüber man vorher einen Vertrag abgeschlossen hat, das ist eher Möglichkeit für einen Streitfall.

SK: Eine Gefahr, die natürlich auftreten könnte, ist, dass das Publikum wiederum uns verklagt für was immer es da alles gibt – Ehrverletzung ist möglich,

HH: Kränkungen

SK: Plagiat ist möglich – also dass wir für unser Produkt nicht vom Veranstalter sondern von der Öffentlichkeit ...

BAUMGARTNER: Ja, dass einfach Drittinteressen verletzt sind. Sei es Wettberwerbsrecht usw. Ja, das ist sicher eine zentrale Frage und das ist die Frage, inwieweit könnt Ihr da Kapital aufbringen um die Gesellschaft zu gründen und wie lange soll die Gesellschaft bestehen, also die Lebensdauer dieser Gesellschaft. Das sind eigentlich die zentralen Fragen auf die eigentlich Antworten gegeben werden müssen. Da kann man dann so eine Nutzwertanalyse machen und aus der kann man eigenlich sehen, welche Gesellschaftsform die geeignetste ist.Das wäre da.

DW: Das heisst bei einer Gesellschaftsform überlegt man sich, dass sie unter Umständen nur drei Jahre bestehen soll und man kann sie von vorne befristen und muss dann weniger Kapital reingeben oder kann gezielter Kapital reingeben.

BAUMGARTNER: Na, so nicht. Es geht mir eher auf die Auflösung hin. Also wenn Sie zum Beispiel sagen "wir wollen das in drei Jahren auflösen", dann ist es relativ unsinnig, eine Aktiengesellschaft zu gründen. Weil die Liquidation wird sich dann sicher noch ein Jahr hinziehen bis die wirklich aufgelöst ist. Wenn es also diese drei Jahre sind dann würde man vielleicht sagen: Eine Kollektivgesellschaft, die eigentlich relativ einfach wieder aufgelöst werden kann. Das ist auch der Punkt, den ich da hervorheben möchte.

DW: und was heißt Kollektivgesellschaft?

BAUMGARTNER: Die Kollektivgesellschaft ist im weitesten Sinne ähnlich der Einfachen Gesellschaft, vor allem was die Haftung betrifft. Es wird wohl zuerst auf die Kollektivgesellschaft zurückgegriffen aber die Gesellschafter haften auch persönlich für die Verbindlichkeiten dieser Gesellschaft.

DW: Was ist denn der Unterschied zwischen einem lockeren Verbund wie uns und einer Gesellschaftsform. Dass es irgendwo festgeschrieben worden ist, also dass man es irgendwo hinterlässt?

BAUMGARTNER: Die Einfache Gesellschaftsform hat keine Rechtspersönlichkeit. Das ist man automatisch. Sie kann nicht eingetragen werden, z.B. im Handelsregister oder am Gericht in Deutschland. Sie ist meistens eben eher so ein Zweckverbund. Man will etwas machen für eine bestimmte Zeit – typisches Beispiel sind Tunnelbauten, Straßen, das sind meistens Arbeitsgemeinschaften. Und das sind Einfache Gesellschaften. Die haben ein Projekt, "Tunnel", oder einen neuen Belag, das geht zwei Jahre oder zehn Jahre und diese Gesellschaft findet sich zusammen für diesen Tunnel, um diesen Belag zu erneueren.

HH: Und das war’s dann.

BAUMGARTNER: Das war’s. Sie kann sich natürlich später wieder finden. Aber erstmal haben sie das Ziel erreicht und dann wird sie endlich stillschweigend, so wie sie gegründet wurde, wieder aufgelöst.

HH: Der Tunnel ist gemacht, der Belag gebaut, aber wenn sich später herausstellen sollte, dass da irgendwelche Pannen passiert sind würde diese Gesellschaft später auch als Rechtsform nochmal existieren.

BAUMGARTNER: Nein, sie existiert nicht als Rechtsform in dem Sinn. Dann hab ich als Auftraggeber, zum Beispiel als Staat gesagt "bau mir diesen Tunnel" und jetzt passiert da etwas und jetzt gehe ich auf einen von diesen Gesellschaftern los. Oder auf alle.

HH: Achso, auf einen, o.k., verstehe.

SK: Sie haben gesagt, es könne jeder von uns belangt werden. Ein Charakteristikum unserer Arbeit ist, dass wir immer versuchen, alle gemeinsam zu entscheiden, also dass niemand von uns der Vorsitzende ist. Ist das überhaupt möglich, rechtlich? Gibt es dafür Formen?

BAUMGARTNER: Das ist gut möglich. Wenn ein Kollegium entscheidet, dann ist das so. Interessiert aber die Aussenstehenden nicht.

SK: Aber zur Verantwortung gezogen werden wenn jetzt ein Rechtsfall auftritt...

BAUMGARTNER: kann jeder. Das interessiert wirklich nicht, wie Ihr Euch intern organisiert habt. Es gibt das Beispiel von fünf Kollegen, die gehen in die Ferien, mieten sich irgendein Häuschen, gehen dann gemeinsam an irgend einer Garage vorbei und sehen ein Auto und der eine geht da rein und mietet sich den Wagen. Und die anderen stehen dabei. Und der Vermieter oder Verkäufer sagt dann " Ihr seid bei mir als Einfache Gesellschaft aufgetreten und ich kann jeden von Euch belangen wenn er die Miete nicht bezahlt hat". Oder das Haus, wenn ein Schaden an dem Haus entsteht, dann kann der Vermieter von diesem Chalet sagen "ja, ist mir eigentlich egal, wer das gemacht hat, ich belange einfach einen oder alle".

HH: Weil die als Gruppe aufgetreten sind.

BAUMGARTNER: Genau. Als Gruppe. Wie gesagt: Eine Einfache Gesellschaft ist schnell passiert und dann muss man einfach wirklich vorsichtig sein.

DW: Und eine andere Gesellschaftsform würde versuchen, diese riskantere Einfache Gesellschaftsform zu vermeiden und genauer zu definieren, wie im Schadensfall vorgegangen wird.

BAUMGARTNER: Genau. Aber es wird ja nicht zur Diskussion stehen, wenn Ihr sagt, die Verträge, die Ihr schließt, die sind so einfach, "uns kann da eigentlich nicht viel passieren". Dann ist alles andere unsinnig, irgendwelche Kollektivverträge aufsetzen oder Statuten für die juristischen Gesellschaften und dann noch viel Geld zahlen. Dann hat sich das erübrigt. Es muss einfach das Risiko mal abgeschätzt werden und die anderen Punkte, die ich genannt habe – Lebenspunkte – aufgelistet werden und dann wird gewichtet: Also sage ich jetzt mal "rechtliche Absicherung ist mir wichtig, die Lebensdauer ist absolut unwichtig" und dann vergleicht man die Formen, die Gesellschaftsformen. Und da wo die meisten Punkte zusammenkommen, das ist dann die, die man dann wählt. Das ist ein kurzer Prozess, sag ich mal.

DW: Wie breit ist denn das Spektrum, wie viele verschiedene Formen gibt’s denn da`

BAUMGARTNER: Sie können einen Verein machen, theoretisch eine Stiftung machen, eine Genossenschaft, GmbH, Aktiengesellschaft, Kommanditaktiengesellschaft – das sind so ziemlich alle. Das ist schon überschaubar. Manche kann man ja im Vorfeld gleich ausschließen,

HH: Wobei wir uns im Vorfeld gefragt haben, ob wir eine Aktiengesellschaft werden könnten. Wenn man jetzt mal eben von sich selber absieht und davon, dass man seine Lebensverhältnisse davon erwirtschaftet und fragt "wie kann man das potenzieren, wie kann man das wieder abgeben und Interessenten an diesem wirtschaftlichen Nutzen gewinnen".

BAUMGARTNER: Also, Interessenten wirbt man durch Werbung, Marketingmaßnahmen. Das ist eigentlich das einzige. Wenn Ihr den Job gut macht, dann spricht sich das herum, das ist auch Werbung. Das ist die günstigste Werbung. Und da kann man das schon wirtschaftlich betreiben.

SK: Wir haben uns für den Namen Rimini Protokoll für unser Unternehmen entschieden. Meinen Sie wir haben damit Zukunft? Finden Sie, das ist eine gute Entscheidung gewesen?

BAUMGARTNER: Rimini Protokoll. Ich notiere das mal. Man müsste vielleicht fragen: Weshalb seid Ihr zu diesem Namen gekommen?

DW: Wie klingt er denn?

BAUMGARTNER: Tönt etwas sehr nach Staatsvertrag.

HH: Zu sachlich? Oder sachlich einfach?

BAUMGARTNER: Es kommt eben darauf an, was Ihr damit bezwecken wollt. Ich habe sofort überlegt: Gibt es da irgendein Protokoll oder einen Vertrag der in Rimini geschlossen worden ist, wie das Madrider Abkommen oder der Wiener Vertrag. Es tönt effektiv, also das ist jetzt subjektiv, tönt so etwas staatsverträglich.

SK: Wie ist es denn eigentlich wenn es jetzt noch ein anderes Unternehmen gäbe das den selben Namen verwenden würde. Könnte man sich da schützen?

BAUMGARTNER: Es gibt zwei Sachen: Das eine ist der Name als Firma. Den würde man schützen indem man ihn eintragen lässt ins Handelsregister, mit der Firmengründung, aber, wie gesagt, die Einfache Gesellschaft kann sich nicht einfach eintragen lassen. Wenn Ihr eine AG macht oder eine GmbH dann ist die Firma in dem Land, in dem sie eingetragen ist, geschützt. Niemannd kann dann diesen Namen für eine Firma verwenden weil er nicht mehr eingetragen werden kann. Das ist der eine Aspekt. Dann gibt es noch den markenrechtlichen Aspekt. Ihr könnt jetzt gut dieses "Rimini Protkoll" als Gesellschaftsname im Handelsregister regisitrieren lassen und jetzt sage ich "ja, denen schiebe ich jetzt den Riegel vor und lasse das als Marke eintragen". Und dann ist das markenrechtlich geschützt und dann könnte ich theoretisch durchsetzen, dass Ihr Euren Namen als Gesellschaft ändern müsst. Es würde eine gerichtliche Auseinandersetzung geben und da würde abgeschätzt: Wer hat den Namen schon länger, welche Interessen müssen geschützt werden und so weiter. Aber das sind zwei Aspekte: markenrechtlich und handelsrechtlich.

DW: Markennrechtlich kann handelsrechtlich aushebeln.

BAUMGARTNER: Ja. Man spricht dann von Verwechslungsgefahr. Aber das würde dann auch ein Gericht entscheiden, inwieweit besteht da Verwechslungsgefahr wenn ich mit meiner Marke Rimini Protokoll chlorfreies Papier verkaufen würde und Ihr macht diese Veranstaltungen, da ist die Verwechselungsgefahr nicht besonders groß. Es gibt aber auch Entscheide, da lagen komplett unterschiedliche Namen vor und der Richter hat befunden, die Verwechslungsgefahr sei zu groß.

DW: Was ist denn die kleinste Form, mit der man sich eintragen lassen kann?

BAUMGARTNER: Die kleinste Form ist die Einzelfirma aber das geht schlecht zu viert. Es wäre dann schon die Kollektivgesellschaft. Das wäre eine Personengesellschaft und würdet zu viert diese Personengesellschaft betreiben. Was es auch noch gibt, ist die Kommanditgesellschaft. Da gibt es einen oder mehrere Kommanditäre. Die zahlen oder die haften für einen bestimmten Betrag. Da sage ich jetzt mal: Jeder für 50.000 Franken. Das wird dann eingetragen. Und der Komplementär, das sind dann die anderen Gesellschafter, die uneingeschränkt haften. So kann man das Risiko für gewisse Personen innerhalb der Gesellschaft reduzieren oder minimieren. Mindestens einer in der Kommanditgesellschaft muss uneingeschränkt haften.

SK: Häufig sind an unseren Aufführungen Leute, denen wir keine Gage bezahlen bzw. die gar nicht wissen, dass sie mitspielen. Zum Beispiel werden wir für ein Festival in Hannover eine Veranstaltung machen wo man in einem Fernsehturm sitzt und mit Feldstechern in die Stadt hinuntersehen wird. Da sind natürlich eine ganze Reihe von Menschen zu sehen, die unsere Darsteller sind in einer gewissen Form. Sie wissen aber davon gar nicht in dem Moment. Sind wir in irgendeiner Form für sie haftbar, weil wir sie ja kommentieren, oder können sie uns dafür haftbar machen wie wir sie kommentieren, weil oben gibt es für die Zuschauer Kommentare über diese Personen zu hören.

BAUMGARTNER: Das ist jetzt eine gute Frage. Theoretisch schon. Wenn sie nicht einfach Statisten sind sondern über diese Personen wirklich etwas vermittelt wird, wenn Ihr subjektiv diese Person, die man da sieht, kommentiert, da würde ich sagen: Wenn ich das erfahren würde – man müsste noch unterscheiden ist es etwas Positives oder Negatives aber es gibt ja Querköpfe, die würden schon klagen auch wenn es ewas Positives war, einfach weil sie Geld wollen – das ist sicher ein Risiko. Inwieweit das in Deutschland durchsetzbar ist weiß ich nicht, aber hier in der Schweiz hätte ich eine reelle Chance.

HH: Verletzung des Persönlichkeitsrechts?

BAUMGARTNER: Ja, Persönlichkeitsverletzung.

SK: Also die Lüge, die eigentlich zum theatralen Pakt dazu gehört, könnte dann als rechtliches Problem auf uns zurückschlagen.

BAUMGARTNER: Ja, als Verunglimpfung oder was auch immer.

HH: In der Fotografie gilt doch die Regel: Sobald 3 oder mehr Personen auf einem Bild sind ist das eine ‚anonyme Menge’. Könnte man bei einem solchen Projekt nicht vielleicht ähnlich vorgesehen, dass man Leute zwar in eine Geschichte einbindet, hebt sie natürlich hervor aber bindet sie dabei in eine andere Geschichte mit ein, macht sie zum Statisten einer Geschichte, die oben im Turm erzählt wird. Kann der denn dann noch sagen "es ging persönlich um mich"?

BAUMGARTNER: Ihr dürft mich darauf jetzt nicht behaften weil ich bin kein Rechtsanwalt. Aber der Unterschied zwischen Fotografie und dem Projekt, das Sie jetzt beschreiben, ist ja der: Wenn ich jetzt das Gebäude da drüben fotografiere, den Eingang, der hat eine schöne Tür. Und per Zufall laufen da Leute vorbei. Da kommt’s wohl darauf an: Was ist das Interesse dieses Bildes? Will ich diese Leute zeigen oder will ich die Tür zeigen und die sind einfach zufällig dabei vorbeigekommen. Also wenn es wirklich der Zufall ist, dann ist ganz klar, dann habe ich keine Chance. Aber wenn ich da unten aus der Menge ausgesucht werde, könnte man schon Recht dabei bekommen, dass man ein Problem damit hat. Es ist natürlich die Frage: Kann die Person überhaupt ausfindig machen, dass in dem Moment jemand etwas über sie erzählt? Es ist ja eben sehr personifiziert. Man sagt ja eben nicht: Da ist diese Menge, sondern es wird eine Person herausgegriffen oder es sind zwei Personen aber es wird immer über eine der beiden etwas gesagt, nehme ich mal an.

HH: Das stimmt.

BAUMGARTNER: Und das könnte ein Risiko sein.

DW: Wenn ich das richtig verstanden habe wird mit der Wahl der Gesellschaftsform nicht das Risiko minimiert sondern definiert wie es verteilt werden soll.

BAUMGARTNER: Das Haftungssubstrat wird definiert.

DW: Also haftet einer voll und die anderen bis zu einem bestimmen Betrag, oder

BAUMGARTNER: Ja, das sind diese Personengesellschaften. Aber in einer AG haftet das Vemögen dieser Gesellschaft. Es gibt dann vielleicht noch Verantwortlichkeitsklagen aber in erster Linie haftet mal die Gesellschaft, das ist eine eigene Rechtspersönlichkeit, und mit dem Kapital das vorhanden ist. Und die Gesellschaft, also die Aktionäre bei der AG, die haften dann nicht persönlich für die Geschäftsschulden. Aber das Risiko, das ist das eine, das Sie abdecken wollen. Es gibt da noch die anderen Punkte, die man da noch durchleuchten sollte: Lebensdauer, Zweck und so weiter.

DW: Ich habe noch keinen anderen Zweck gesehen neben der Klärung, wie mit dem Haftungssubstrat umgegangen werden soll.

BAUMGARTNER: Das kommt auf den Einzelnen an. Nehmen wir an, ich mach eine Arbeit, die sehr stark mit Vertrauen verbunden ist. Und diese Arbeit, die ich mache , hinter der will ich hundertprozentig stehen können. Und ich will das auch dem Kunden vermitteln, dass ich hundertprozentig hinter dieser Arbeit stehe. In dem Fall schaffe ich das eher mit einer Einzelnfirma oder mit einer Personengesellschaft als mit einer GmbH oder mit einer AG. Das beste Beispiel sind die Privatbanken. Das sind größtenteils keine Juristischen Gesellschaften, das sind meistens Personengesellschaften. Das heißt, die haften wirklich persönlich. Also will ich da ein Gütesiegel setzen. Aber es kommt wirklich auf den einzelnen Fall an: Was will ich schlussendlich noch vermitteln? Was ist der Sinn dahinter? – Die meisten machen eine AG–GmbH oder, das ist ganz klar, weil sie sagen: "Risikominimierung!" Doch dann gibt es auch den umgekehrten Fall, dass man sagt "ich will zeigen: Ich stehe mit Qualität hinter dem was ich mache".

SK: Es ist ja oft auch so, dass im Laufe der Entwicklung eines Projektes bei uns verschiedene Interessen auftreten. Man merkt, der eine denkt mehr in eine Richtung, von der ein anderer ihn wieder abzubringen versucht und oft geht es sehr schnell darum, Entscheidungen zu fällen. Wenn jetzt durch persönliche Entscheidungen von einzelnen von uns vieren Schäden entstehen oder das Produkt verunstaltet wird in einer Art und Weise, die dann zu Problemen führt – inwieweit kann man den damit umgehen, wenn ich nicht haften will für fahrlässige Fehler von Helgard Haug, zum Beispiel .

BAUMGARTNER: Wenn man sich in ein Projekt investiert und man hat sich durchgerungen, dass der eine Vorschlag umgesetzt werden soll. Dann wird er in dem Fall von der Einfachen Gesellschaft getragen. Die Haftung können Sie da eigentlich nicht wegschieben. Aber Sie können intern einen Vertrag abschliessen. Aber das interessiert die außen herum nicht. Spitz gesagt, man muss es vielleicht etwas pauschaler machen: Wenn Sie jetzt irgendeinen Bock schießen und das fällt dann langsam auf, dann sagt man: "Wir machen einen Vertrag. Wenn das nochmal passiert und wir haben einen Schaden dann hast Du den zu tragen". Aber, wie gesagt, den Dritten außerhalb interessiert das wenig, der wird irgendeinen von Euch schnappen und weich klopfen und Ihr müsst intern schauen, dass Ihr aufgrund eines Vertrages oder aufgrund von Zeugenaussagen – das ginge ja auch, ein Vertrag kann ja auch mündlich geschlossen werden – die Person dafür haftend macht, die dafür verantwortlich war.

SK: Aber wenn sie Mitgesellschafterin ist hätte ich Mühe, sie zu kündigen deswegen. Oder?

BAUMGARTNER: Naja, die Einfache Gesellschaft würde man auflösen, faktisch, und die würde von Ihnen Dreien neu gegründet. Das wäre der effektive Ablauf. In der Praxis heißt das "Tschüss" und Ihr drei habt dann sofort eine neue. Geht schnell. Passen Sie auf!

HH: Meinen Sie, es macht überhaupt Sinn, in solchen Kollektiven zu arbeiten, auch in puncto Wirtschaftlichkeit?

BAUMGARTNER: Also wissen Sie, diese Einzelkämpfer, die es heute leider immer noch gibt – ich bin überzeugt, die sind auf einem absteigenden Ast. Das geht heute nicht mehr. Ich bin überzeugt, jeder von Euch hat Qualitäten und aus einem Grund seid Ihr zusammengekommen. Und zusammen gibt das doch viel mehr als eine Person abdecken kann. Das ist ja das Interessante. Wenn Sie jetzt einfach an einem Kiosk Zigaretten verkaufen wollen dann können Sie das gut alleine machen, das braucht es nicht viele Fähigkeiten. Aber wenn man dann eine größere Region bedienen möchte, dann braucht man dann zumindest Mitarbeiter.

HH: Aber das ist ja genau der Unterschied. Ich könnte ja auch sagen "ich kann mittlerweile einschätzen wo ich gut bin und wo nicht und für bestimmte Bereiche bräuchte ich jetzt einfach Unterstüztung". Und ich könnte ja auch sagen "ich bin die Chefin und ich ziehe mir für eben diese Aufgaben Leute heran". Aber das ist grundsätzlich doch von der Haltung her ein ganz großer Unterschied, ob ich sage "ich arbeite im Kollektiv und riskiere, dass bestimmte Ideen überhaupt nicht durchkommen oder nicht in dem Maße umgesetzt werden oder dass sie total verändert werden". Es ist ja oft so, dass wir Ideen reingeben, jeder von uns, und dann werden die in Gesprächen und in dem Prozess, in dem jeder seine Meinung sagt, modifiziert und oft erkennt man sie gar nicht wieder. Ist so was überhaupt sinnvoll?!

BAUMGARTNER: Ihr seid ja kreativ tätig. Und ich glaube, Kreativität kann man nur unterdrücken, indem wirklich jemand der Chef ist und sagt "so wird es gemacht und Ihr müsst einfach ausführen". Aber Ihr seid ja zusammengekommen, um wirklich etwas Kreatives zu machen und da ist der Chef ja wirklich nicht die ideale Lösung. Das ist meine Überzeugung. In anderen Gesellschaften kann sich der Patriarch z.B. schon durchsetzen, aber ob die Leute motiviert sind, ob sie zufrieden sind? Mit motiviertem Personal kommt man meistens weiter. Wenn sie dann noch beteiligt sind am Unternehmen kommt man noch einmal weiter, weil sie wissen "ich arbeite ja auch für mich und nicht nur für den da oben" oder für Sie da oben. Also diese militärischen Strukturen haben meines Erachtens ausgedient, das ist vorbei. Manchmal braucht’s das natürlich, wenn eine Diskussion uferlos wird. Aber da kann man auch sagen "wir diskutieren über ein Thema so und so lang und wenn dieser Zeitpunkt überschritten ist, dann entscheidet das Los. Punkt."

HH: Ah ja....

BAUMGARTNER: Ja, ja! Das wird oft gemacht. Gerade bei Zwei-Personen-Gesellschaften. Es gibt immer ein Thema bei dem man sich nicht findet. Oder wenn der eine immer zurückkrebsen muss, da wird er sauer mit der Zeit, sammelt Groll an

und der wird dann irgendeinmal herauskommen. Und dann sagt man lieber: "Diskutiert so und so lang und wenn Ihr keine Einigung findet beauftragt Ihr entweder einen Fünften" – in Eurem Fall, der hört dann jeden an und entscheidet nach seiner Meinung, was das Beste ist – oder jeder von Euch schreibt die Lösung,, die er will, auf einen Zettel, gibt sie in einen Topf und dann zieht Ihr und sagt "So, hier ist die Lösung". Und dann kann sich auch niemand betupft fühlen. Es wurde niemand überrollt. Der Zufall hat entschieden und der Zufall entscheidet meistens gut. Das ist so.

DW: Freut zu hören. Wir arbeiten auch in kleineren Gesellschaften: Herr Kaegi und Herr Ernst arbeiten unter dem Label "Hygiene heute", dann gibt es Arbeiten von Frau Haug und mir, da bewerben wir uns einfach namentlich, dann gibt es auch die Konstellation aus Herrn Kaegi, Frau Haug und mir, da benennen wir uns auch namentlich aber gelabeled als Haug / Kaegi / Wetzel. Nun gibt es diese Viererkonstellation, für die wir entschieden haben, dass da mal ein echtes Label hin muss. Das ist ja der Übergang von der Benennung von einzelnen Personen, die eine Gesellschaft bilden, zu einer irgendwie virtuellen Person. Das ist doch ein Schritt weg von der Personengesellschaft zu einem Ding, mit dem man nur noch diffuser angreifbar oder identizfizierbar ist, hin zur AG-GmbH und weg vom Gütesiegel, das man mit dem Namen in der Waagschale, bekräftigt. Wäre es dann angemessen, sich auch eine Rechtsform zu suchen, die dem Rechnung trägt?

BAUMGARTNER: Nein, würde ich jetzt nicht sagen. Weil, wie Sie sagten: Rimini Protokoll ist ein Label und das hat mit der Rechtsform gar nichts zu tun. Nein, glaub ich nicht.

SK: Meistens ist es ja so, dass Veranstalter auf uns zukommen und von uns ein Projekt wollen weil sie mal etwas von uns gesehen haben. Und oft ist es so, dass sie gerne noch einmal ein solches Produkt wie sie es dort gesehen haben hätten, oder ein solches wie da. Wir sind aber daran interessiert, die Projekte weiterzuentwickeln und nicht zwei Mal das Gleiche zu machen. Dabei verändert sich unser Image. Das Publikum hat dadurch die Möglichkeit, jedes mal sehr unterschiedliche Arbeiten zu erleben. Wie weit ist es sinnvoll, dass ein Unternehmen sein Produkt sich verändern lässt ohne den Namen zu wechseln? Wie weit ist es wichtig, möglichst viel abzudecken oder sich andererseits unverwechselbar zu machen?

BAUMGARTNER: Man muss segmentieren, welche Zielgruppe man im Auge hat. Und da muss man ja auch die Marketingmaßnahmen – nicht nur Werbung, sondern überhaupt das ganze Verhalten von Rimini Protokoll auf diese Zielgruppe abstimmen. Und diese Zielgruppe hat ein ganz bestimmtes Verhalten. Das heisst, die haben zum Beispiel gern so was à la Harald Schmidt und die andere Gruppe sieht etwas anderes besonders gern. Und sobald man eine solche Zielgruppe hat muss man ihr auch treu sein. Das ist meine Meinung. Es sei denn , man hat verschiedene Zielgruppen-Produkte und veranstaltet für die verschiedenen Gruppen verschiedenen Events. Aber wenn man eine Zielgruppe hat kann man für nicht nicht einfach das Produkt wechseln. Natürlich muss etwas Neues kommen aber es muss abgestimmt sein auf diese Zielgruppe. Sie hatten ja damit Erfolg. Die Leute hatten das toll gefunden. Und jetzt kommen Sie mit irgendwas ganz anderem. Das wird nicht funktionieren. Ihr müsst ja eine oder mehrere Gruppen packen und sagen: "Für die machen wir jetzt was, das ist unser Publikum". Das sieht man ja auch bei Künstlern, die haben immereinen ähnlichen Stil, seien es Schauspieler, seien Komiker, was auch immer, sie kommen immer im ähnlichen Stil, weil sie haben ein Zielpublikum entdeckt, eine Marktlücke, und gehen auf die zu und wollen diese erschließen.

HH: Bei uns wäre das dann übergreifend eine Arbeitsweise. Was gleich bleibt ist die Arbeitsweise aber es ist offen, was jeweils dabei entsteht – ist es ein Theaterstück, eine Stadtbegehung, ein Hörspiel. Aber die Herangehensweise bleibt ähnlich.

BAUMGARTNER: Aber ich bin überzeugt: Das Publikum für ein Theaterstück oder eine Stadtbegehung oder ein Hörspiel ist nicht das selbe. Es sei denn es sind Bekannte und Freunde, die immer mitkommen und sagen "das ist super" und das sehen wollen. Ich bin überzeugt, dass der Kern dieses Publikums nicht bei allen drei Veranstaltungen derselbe wäre. Und das wäre aber jeweils das Zielpublikum. Das ist ganz klar. Natürlich könnt Ihr verschiedene Sachen machen, Theaterstück, Stadtbegehung und so weiter, aber einfach dann immer ungefähr im ähnlichen Stil, es muss ja dann ein ähnliches Produkt sein. Man sollte natürlich nicht immer dasselbe bringen aber etwas Ähnliches weil die Leute finden das dann toll.