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Staatssicherheit

Vietnamesische VertragsarbeiterInnen in der DDR und ihre Überwachung durch staatliche Institutionen

Die vietnamesischen Vertragsarbeiter und Studenten wurden – ebenso wie die Bürger aus anderen Nationen - durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) überwacht. Die DDR-Funktionäre fürchteten negative und unkontrollierte Einflüsse, die von den in der DDR lebenden Ausländern ausgehen konnten. Dabei sollte man nicht vergessen, dass alle Straftaten, die in anderen Ländern als kriminelle Handlungen gewertet wurden, in den sozialistischen Staaten ein politisches Verbrechen darstellen konnten. Beispielsweise galten Vergehen gegen das Volkseigentum, wie Diebstahl in den volkseigenen Betrieben, mutwillige Zerstörung von Volkseigentum oder Korruption als strafbare Handlungen, die gegen das System der DDR gerichtet waren. Das MfS stellte in einem Bericht fest:

»[...] Zunehmend beteiligt sind Ausländer, häufig in Verbindung mit DDR-Bürgern, auch an solchen Straftaten bzw. Vorkommnissen, die für die politisch-operative Arbeit bedeutsam sind, wie unerlaubter Waffenbesitz, Gewaltakte, Korruptionshandlungen, Rauschgiftdelikte, Zoll- und Devisenverstöße, Schmuggel von Kunstgütern sowie Handlungen und Verbreitung sozialismusfremden Gedankengutes und dekadenter Lebensweise. [...]«1

Der für ausländische Bürger zuständige Bereich erhielt die Bezeichnung »Arbeitsgruppe Ausländer«.

»[...] Im Ministerium für Staatssicherheit ist die nichtstrukturelle Arbeitsgruppe Ausländer (AG Ausländer) zu bilden. Die Arbeitsgruppe wird meinem 1. Stellvertreter, Genossen Generalleutnant Beater, unterstellt, der dabei eng mit meinem Stellvertreter, Genossen Generalmajor Mittig, zusammenarbeitet... Von den Leitern der Hauptabteilung I, II, VI, VII, VIII, IX, XVIII, XIX, XX, PS, der ZAIG, der Abteilung X und XXII, der ZKG, der Rechtsstelle sowie der Verwaltung Berlin ist je ein sachkundiger verantwortlicher Mitarbeiter für die Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Ausländer zu benennen [...]«2

Der Hauptabteilung X3 kam eine besondere Schlüsselstellung für die Koordinierung der Überwachung vietnamesischer Bürger zu. Sie hielt auch den Kontakt zu dem befreundeten vietnamesischen Geheimdienstes MdI aufrecht. Geleitet wurde diese Abteilung von Generalmajor Willi Damm. 1980 vertiefte eine weitere Vereinbahrung die Zusammenarbeit beider Geheimdienste. 

»[...] Hinweise […] und Informationen über feindliche Aktivitäten gegen Bürger und Einrichtungen beider Staaten, erlangte Angaben zu Bürgern und Einrichtungen beider Staaten, erlangte Angaben zu Bürgern des einen Staates, die sich zeitweilig oder ständig auf dem Territorium des anderen Staates aufhalten [...].«4

»[...] 

- Schaffung einer qualifizierten inoffiziellen Basis unter den vietnamesischen Werktätigen;

- die vorbeugende Verhinderung bzw. wirksame Bekämpfung aller Absichten und Maßnahmen des Gegners zum Mißbrauch vietnamesischer Werktätiger für subversive Angriffe [...]«5

»[...] Weitergehende Maßnahmen wie Beobachtung, inoffizielle Postkontrolle, operativ-technische Kontrolle, Fahndungen und Festnahmen sind zwischen dem Leiter der Operativgruppe des MdI der SRV in der DDR und dem Leiter der Abteilung für Internationale Verbindung des MfS6 der DDR abzustimmen.[...]«7

In den 1970er Jahren schickte Vietnam Lehrlinge und  Studenten über China in die DDR. Sie führten von dort einige Mitbringsel mit, was den DDR-Funktionären und dem MfS einige Kopfschmerzen bereiteten.

»[...]Einige Freunde besitzen Oktavhefte in einem Plastikeinband, die ihnen bei ihrer Durchfahrt durch China geschenkt wurden und die auf der Vorderseite mit einem Bild Mao Tse-Tungs versehen sind. Auch gibt es einige Freunde, bei denen das Abzeichen Mao Tse-Tungs vorhanden ist, das aber von ihnen nicht öffentlich getragen wird.[...]«8

Im Laufe der Zeit kam es zu unerwarteten Schwierigkeiten mit den vietnamesischen Vertragsarbeitern. Sie begannen sich nach weiteren Verdienstmöglichkeiten umzusehen.

Das MfS registrierte unter anderem Zoll- und Devisenvergehen, illegalen Computerhandel, Glücksspiel sowie versuchte Republikflucht. Die Staatssicherheit hatte sich ebenfalls mit Körperverletzungen (auch mit Todesfolgen) und Selbstmorden auseinanderzusetzen. Die Klärung dieser Probleme konnte nicht alleine durch die staatlichen Organe der DDR gelöst werden. Sie benötigte dazu Hilfe von vietnamesischer Seite. Die zwischen den beiden Ländern geschaffene Vertragslage ermöglichte dazu den Einsatz vietnamesischer Geheimdienstmitarbeiter in den Wohnheimen der vietnamesischen Vertragsarbeiter. Neben der Bekämpfung des spekulativen Handels befürchtete die vietnamesische Seite auch politisch motivierte Handlungen. So heißt es in einem Bericht des MfS vom 28.7.1988:

»[...] Bisher ist für die vietnamesischen Genossen noch unklar, ob sich die Kontakte ihrer straffällig gewordenen Bürger zu Ausländern ausschließlich auf spekulative Handlungen beschränken oder ob staatsfeindliche Hintergründe vorhanden sind. [...]«

»[...] Die Nutzung der aus dem Süden der SRV kommenden Werktätigen durch vietnamesische Exilanten, die vorwiegend in den USA, Kanada und Frankreich leben, um über diese wieder Beziehungen in die SRV aufzunehmen und Geschenk- und Geldsendungen zu übermitteln. [...]«

»[...]Bildung von Grupierung religiös gebundener Werktätiger evangelischen und katholischen Glaubens, deren Handlungen von religiösen Würdenträgern aus der SRV gesteuert werden [...]«9

Versorgung der Familien in der Heimat

Neben der regulären Arbeitszeit in den Betrieben versuchten die vietnamesischen Vertragsarbeiter zusätzliches Geld für ihre Familien zu verdienen. Da die Währung der DDR nicht frei konvertierbar war, wurde das Geld in Waren umgesetzt. Die vietnamesischen Vertragsarbeiter sollten jedoch Waren produzieren und nicht verbrauchen. Deshalb hatte man mit Vietnam folgendes vereinbart:

»[...] Nach den Zollvorschriften der DDR kann jeder ausländische Werktätige für 50% seines Nettoarbeitsaufkommens Waren für den persönlichen Bedarf ausführen. [...].«10

Man hatte jedoch den Fleiß und die Energie der vietnamesischen Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter unterschätzt. Sie versuchten mit allen Mitteln zusätzlich Geld zu verdienen und die dafür gekauften Waren nach Vietnam zu schicken. Ihre Heimat unterstützte sie dabei. Sie hob die Einfuhrbeschränkungen für alle Waren auf. Auch forderte die SRV die Erhöhung der 50 Prozent-Grenze.11

Diese Situation war nicht im Sinne der DDR-Funktionäre. In den letzten drei Jahren der DDR häuften sich Berichte über Arbeitsunlust bis hin zur Arbeitsniederlegung. Da die Vertragsarbeiter in ihrer Nebentätigkeit mehr als bei ihrer regulären Arbeit verdienen konnten, zeigten sie immer weniger Interesse an betrieblicher Leistungserfüllung. Dieser für die DDR verhängnisvollen Entwicklung versuchte man mit aller Macht entgegenzusteuern. 

»[...] Auf der Grundlage der geltenden Zollbestimmungen ist zur Verhinderung gezielter Abkäufe versorgungspolitisch wichtiger Waren durch vietnamesische Werktätige eine Limitierung der Ausfuhr entsprechend der Staatlichen Plankommission und den Ministern für Außenhandel sowie Handel und Versorgung vorzunehmen [...].«12

Deshalb wurden für die vietnamesischen Vertragsarbeiter wichtige Waren limitiert: beispielsweise Fahrräder auf fünf Stück, Ketten auf zehn Stück, Speichen auf 200 Stück, etc. Mopeds durften insgesamt zwei Stück verschickt werden, keine Rahmen und keine Tanks. Stoffe waren nicht mehr als 150 Meter erlaubt, Seife auf 300 Stück beschränkt und Zucker auf 100 Kilogramm. [...]«13

Daraufhin entwickelten die Vietnamesen einen großen Einfallsreichtum das aufgestellte Limit zu umgehen. Das Packen der großen Transportkisten wurde zu einer wahren Kunst. Große Gegenstände wurden auseinandergeschraubt und in anderen Waren versteckt. Um möglichst viel Platz zu sparen, rollte man Kleidungen in Zeitungspapier zu kleinen Würsten zusammen und verklebte alles mit Klebeband. Einige Vietnamesen berichteten, dass sie die Hohlräume zwischen den Waren mit Zucker ausfüllten. Man setzte alles daran, soviel wie möglich nach Vietnam zu schicken. Der Zoll berichtete unter anderem:

»[...] Es wird versucht, die ungenehmigte Ausfuhr von Mopeds zu erwirken. Fälle, in den so bis zu 13 Mopeds - in doppelten Wänden und Boden eines Containers versteckt - geschmuggelt werden sollten, sind keine Seltenheit. Es wird versucht, größere Mengen anderer Gegenstände (in Einzelfällen bis zu 4.800 Fahrradspeichen, 340 Fahrradketten, 835 Kugellagern, 1.023 Glühlampen für Mopeds, 420 kg Zucker) mit der Begründung, es sei »familiärer Bedarf“ nach der SR Vietnam auszuführen. Durch Angabe falscher Preise - oftmals wird nur die Hälfte des tatsächlichen Preises im Zollantrag eingetragen - wird die Ausfuhr zusätzlicher Gegenstände unter Missbrauch der Zollvergünstigung angestrebt. [...].«14

Noch heute werden über diese Kisten die abenteuerlichsten Geschichten erzählt.

Schwangerschaften von vietnamesischen Vertragsarbeiterinnen

Die DDR-Funktionäre befürchteten, dass die schwangeren Vertragsarbeiterinnen zu einer Belastung für den DDR-Haushalt werden könnten. Wenn schwangere Frauen nicht abtreiben wollten, schickte man sie ausnahmslos in ihre Heimat zurück.

»[...] Die vietnamesischen Werktätigen sind entsprechend dem Regierungsabkommen DDR - SRV zeitweilig in der DDR beschäftigt. Es liegt nicht im ökonomischen Interesse der DDR, dass weibliche ausländische Werktätige in der Zeit der produktiven Arbeit und Qualifizierung in unserer Republik Kinder zur Welt bringen. Auch die SRV, die eine restriktive Geburtenpolitik betreibt, hat daran kein Interesse. Deshalb erscheint es uns akzeptabel, dass den jungen Frauen mit Aufnahme des Arbeitsrechtsverhältnisses entsprechende Erläuterungen zur Vermeidung von Schwangerschaften gegeben werden. Doch sollte [...] nachdrücklich auf ein sehr feinfühliges Vorgehen orientiert werden, damit keine Konflikte hinsichtlich der Gewährleistung der Menschenrechte auftreten können. [...].«15

Erst 1989 begann ein Umdenken seitens der verantwortlichen Funktionäre.

»[...] Ausgehend vom Regierungsabkommen wurde auf Wunsch der vietnamesischen Seite vereinbart, daß bei Schwangerschaft grundsätzlich die Heimreise in die SR Vietnam erfolgt, da Schwangerschaft und Mutterschaft nicht mit dem Deligierungsauftrag zu vereinbaren seien.

In den letzten Monaten kam es in einigen Fällen zu Konflikten, weil Arbeitsrechtsverhältnisse Schwangerer durch verantwortliche Kader von DDR-Betrieben bürokratisch gelöst wurden und die Rückkehr in die Heimat ohne Einverständnis durchgesetzt werden sollte.

Durch den Staatssekretär für Arbeit und Löhne wurde sofort veranlaßt, daß die Rückkehr von Schwangeren in die Heimat gegen deren Willen auszuschließen ist. [...]«16

Jetzt konnten die schwangeren Frauen in der DDR entbinden. »[...] Nach der Niederkunft in der DDR endet das Arbeitsrechtsverhältnis mit Ablauf des Wochenurlaubs, spätestens mit dem Tag der Ausreise. Bis zur Ausreise aus der DDR sind Mutter und Kind durch den Betrieb in Abstimmung mit den Beauftragten der Botschaft der SRV zu betreuen.

Das Arbeitsrechtsverhältnis kann bestehen bleiben, wenn die Betreuung des Kindes gewährleistet wird.[...]«17

Die Wendezeit nutzte ein Teil der Vietnamesen zur Flucht in die BRD. Andere Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter hielten bis zum Ende der DDR aus. Mit dem Ende der DDR endeten auch die Arbeitsverhältnisse der vietnamesischen Vertragsarbeiterinnen und -arbeiter. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass trotz aller Kontrolle, Gängelung und Überwachung durch die Funktionäre beider Staaten, diese Zeit bei einem Großteil der Vietnamesen und ihrer deutschen Freunde in guter Erinnerung geblieben ist.Vietnamesische Studenten und Arbeiter in der DDR und ihre Beobachtung durch das MfS, Magdeburg 1999, S. 5

1 Vietnamesische Studenten und Arbeiter in der DDR und ihre Beobachtung durch das MfS, Magdeburg 1999, S. 5
2 Feige, M.: a. a. O., S. 5

3 siehe auch http://www.bstu.bund.de
4 a. a. O., S. 15
5 a. a. O., S. 17
6 Hauptabteilung X
7 a. a. O., S. 17
8 a. a. O., S. 22

9 a. a. O., S. 22
10 BArch, DC/20/1/3Archivsignatur 2774.
11 A. a. O.
12 A. a. O.
13
A. a. O. Diese Liste weicht von einem früheren Vorschlag vom 5. Juni 88 ab.
14
A. a. O.
15 A. a. O.
16 A. a. O.
17 Beschluß des Ministerrates vom 9. Februar 1989

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