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Reinhardt Balzk über das Ende der Volkseigenen Betriebe (VEB´s) in Dresden

Die Einführung der D-Mark war beschlossene Sache, entgegen der Meinung der Leute, die davon Ahnung hatten. Der damalige Chef der Bundesbank hatte davor gewarnt, er war für eine längere Übergangsphase, um die Wirtschaften darauf einzustellen. Er ist an dieser Frage gescheitert gegen Kohl. Der Druck der Bevölkerung war zu groß. Mit der Einführung der D-Mark war das ganze Staatsgefüge aus den Angeln gehoben, und die Wirtschaft natürlich. 

Ich war damals Direktor der Außenwirtschaft des Kombinates NAGEMA. Die Abkürzung steht für Nahrungs– (Na) und Genussmittel (ge) Maschinenbau (ma). Das Kombinat beschäftigte Ende 1989 etwa 21.000 Mitarbeiter. Unser Kombinat wurde im April/ Mai 1990 zur Aktiengesellschaft umgebildet. Ich hatte damals noch einen Vertragsverlauf von zwei Jahren, und wurde zu einem der vorläufigen Vorstände erklärt. Dann bekamen wir im Dezember unseren Aufsichtsrat von der Treuhand vorgesetzt. Ich wurde Prokurist für Vertrieb bei der Nagema Aktiengesellschaft, bis 1992.

Erst kam das Aus für die alten Strukturen. Das war eine schwierige Zeit. Wir waren eine ziemlich starke Administration, mit 150 Arbeitern. Und von heute auf morgen den Leuten beizubringen, dass sie keine Beschäftigung mehr haben, ihnen zu sagen: Pass mal auf, ab morgen brauchst du nicht mehr wiederkommen. Das war ein Hammer. Mir unterstand die Reisestelle des Kombinats, die hatte sich erübrigt, an jeder Ecke war ein Reisebüro. Am Schluß blieben insgesamt noch vielleicht zwanzig Leute übrig.

Das ist mir alles unheimlich schwer gefallen…Da sind Leute zu mir gekommen, mit denen ich zwanzig Jahre in einem Unternehmen war, das waren plötzlich Gespräche wie: du bist jetzt 58, du kannst in Altersübergang gehen. Ich muss daran denken, dass ich hier noch eine junge Frau habe. Es war allen klar, dass da nichts Neues kommt. Es ist ja ringsherum gleichermaßen passiert. Hier in Dresden war Pentacon das erste Kombinat, das abgewickelt worden ist. 5000 Leute! Wo sollten die denn unterkommen? 

Es gibt so eine Tendenz zu sagen, es war alles Schrott und nicht überlebenswert. Diese Herabsetzung und Bewertung war für mich ein Grund, die Geschichte und Abwicklung der DDR-Betriebe noch einmal aufzuschreiben und dem etwas entgegenzusetzen. Deshalb habe ich die Arbeitsgruppe »Dresdner Industriegeschichte zwischen 1945 und 1990« koordiniert.

Wir hatten Produkte, die waren gut, da kamen die anderen Märkte nicht rein. Zum Beispiel Kakaopressen in Brasilien- da hatten wir das Geschäft in der Hand. Auch im Nahen Osten. Oder in West-Berlin, aber das hatte andere Gründe. Die Kakao- und Schokoladenverarbeitenden Betriebe in Westberlin kauften bei uns ein, weil sie bei uns anrufen konnten und der Monteur in zwei Stunden da war. Und unsere Monteure waren auch noch billiger. 

Mit der DDR haben die UdSSR und China immer im Clearing gehandelt, nach dem Motto: du gibst mir und ich gebe dir. Das war die Verrechnung. Und jetzt wollten wir plötzlich ab 1. Juli 1990 D-Mark haben. Das war das Problem. Dass die Leute alle die D-Mark wollten, das war ja zu verstehen, aber die haben nicht daran gedacht, dass wir, wenn wir ab morgen in D-Mark fakturieren müssen, ab morgen keinen Kunden mehr haben. Dieser Zusammenhang, der war den Politikern klar, aber nicht der Bevölkerung,

Es gibt viele Dinge, die man sehen muss, aber es war eine Chance für die westdeutsche Wirtschaft und es war ziemlich verantwortungslos, was mit der Wirtschaft hier passiert ist. Denn so marode war es nicht, dass wir heute noch im Osten zwei Millionen Arbeitslose haben. Wir hatten auf verschiedenen Gebieten Rückstand in der Produktivität, das stimmt ja, aber wir hatten keine Arbeitslosigkeit. Im Gegenteil: Wir haben Vietnamesen geholt, Algerier, Mozambiquaner, Kubaner, zuletzt noch Polen, weil wir ein Defizit an Arbeitskräften hatten. 

Im Grunde genommen muss man sagen, dass die Zusammenlegung für die westdeutsche Wirtschaft ein Riesen-Geschäft war. Zum Beispiel die Autoindustrie: Wie viele Autos sind auf einen Schlag hier rüber gerollt? Damit wurde doch Umsatz und Absatz gemacht. Oder ein Beispiel aus meinem Betrieb: Im Dezember 1989 haben wir in Bayern eine Abfüllanlage abgegeben. Das wurde groß gefeiert und eingeweiht. Da sagt mir der Besitzer: »Noch schöner wäre es, wenn ich jetzt auch mein Bier zu euch rüber bringen und verkaufen könnte.« Ich sagte: »Wenn ich was zu sagen hätte, würden wir kein Bier importieren, sondern nur Ausrüstung, damit wir technisch vorankommen.«

In der Regel wurden als Vorstände, Vorsitzende oder Aufsichtsräte Leute aus dem Westen berufen. Und damit wurden automatisch alle anderen erst einmal abserviert und eine Stufe heruntergestuft. Bei uns in der Nagema bekamen wir einen Vorstandsvorsitzenden, der kam von der Konkurrenz. Von Klöckner, das war einer der Hauptkonkurrenten bei Getränkeabfüllanlagen. Der hatte doch kein Interesse daran, dass seine Konkurrenten hier im Osten eine neue Chance bekamen. 

Der neue Vorstand wollte von mir einen Lagebericht von Getränkemaschinen in China. Ich bin oft in China gewesen,  im ganzen Land, ich kannte die Produktion, ich kannte die Importeure, die wichtigen Vertreter der Getränkeindustrie. Ich hab ihm meine Informationen gegeben, und nie wieder etwas davon gehört. Er hat das rüber gegeben an seine Firma. Da gibt es noch viel mehr Beispiele, wie Informationen und Know-how abgeflossen sind. Neue Vorstände sollen gesagt haben  »Wir machen jetzt nichts, die Zeit arbeitet für uns.«

Ich bin ziemlich deprimiert gewesen damals, dass alles, was uns als Ideal vorgeschwebt hatte, plötzlich nicht mehr funktionierte, nichts mehr wert war. Das zu verdauen, hat bei einigen länger und bei anderen weniger lang gedauert. 

Aber auf der anderen Seite, im Unterschied zu Osteuropa hatte man eine soziale Absicherung. Das muss man ja auch sehen: Wir hatten aufgrund der Wirtschafts- und Währungsunion mit der Bundesrepublik im Vergleich zu den anderen ex-kommunistischen Ländern einen Riesenvorteil. Die Möglichkeit, in Altersübergang zu gehen oder auch in die in Arbeitslosigkeit: Wir hatten ja ein Mindesteinkommen gewährleistet. Das hatte zum Beispiel in der Ukraine nicht. Wer sollte denn das Arbeitslosengeld bezahlen, der bankrotte Staat? Das funktionierte ja alles nicht. Das muss man der Fairness halber auch sagen: Wirtschafts- und Währungsunion bedeutet auch, dass nicht nur unangenehme Dinge übergestülpt worden sind. 

Ich bin mit 58 in Altersübergang gegangen, wie ich das anderen auch geraten habe. Und dann war ich als Berater tätig. Heute noch treffe ich mich mit Kollegen von damals. Das war und ist ein Zusammenhalt, der über die Arbeit hinausging. Ein Charakteristikum für diese Art von Wirtschaften in der Volkseigenen Industrie war ja, dass der Betrieb Mittelpunkt des gesamten Lebens war. Das war der Arbeitgeber, dort waren die Kulturveranstaltungen angesiedelt, Sport, Kinderbetreuung, dann gab es das Kantinenessen, Kinderferienlager und Ferienheime. Da gab es Chöre, ein VEB hatte sogar eine Arbeiteroper. Von der Nagema hatten wir vier Ferienlager und soziale Einrichtungen. Das brach dann alles weg.

Vom Ende der Volkseigenen Betriebe waren die ausländischen Vertragsarbeiter genauso schockiert wie wir. Die hatten hier ihre Arbeit, erlernten einen Beruf, wurden qualifiziert und ausgebildet. Dann hörten sie von einem Tag auf den anderen: »Ihr Arbeitsvertrag wird beendet.« Das war für die natürlich genauso schlimm wie für einen deutschen Arbeiter, vielleicht sogar noch schlimmer. Die Vertragsarbeiter haben alle eine einmalige Abfindung angeboten bekommen, die ihnen am Flughafen ausbezahlt wurde. Dann war Schluss.

Reinhardt Balzk, war zwanzig Jahre (1970 bis 1990) Direktor der Außenwirtschaft des Kombinates NAGEMA und zwei Jahre Prokurist der nachfolgenden Aktiengesellschaft, beschäftigte sich als Koordinator der Arbeitsgruppe »Dresdner Industriegeschichte zwischen 1945 und 1990« intensiv mit der Geschichte der volkseigenen Betriebe in Dresden, die in der Publikation »Industriegeschichte der Stadt Dresden 1945–1990. Beiträge zum 800. Stadtjubiläum.« im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e. V. in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Dresden. Hrsg. von Reinhardt Balzk und Jürgen Leibiger

 

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